Spenden!

Wenn die Lektüre dieses Blogs für Sie in irgendeiner Weise wertvoll, interessant oder anregend ist und Sie Ihrer Wertschätzung Ausdruck verleihen wollen, dann gibt es neben der Möglichkeit, mir zu schreiben jetzt auch die Gelegenheit, mir ein Trinkgeld zu geben. Näheres dazu findet sich auf meiner Tipeee-Seite:

Montag, 23. April 2018

Nachtrag: 21. April 2018

Um meine Rückreise nach Köln von einem Ort aus antreten zu können, den ich für die nächste Etappe wieder relativ einfach erreichen kann, bin ich am Morgen nach Lennestadt-Altenhundem gegangen, ca. anderthalb Stunden von Bilstein entfernt, wenn man den JH-Wanderweg nimmt. Dort auf dem Bahnhof bin ich in den Zug gestiegen.

Bei der Zeitungslektüre auf dem Weg nach Hause habe ich zwei Hinweise auf Themen gefunden, die mich während der Wanderung beschäftigt haben.
Für die Zeitung Freitag dieser Woche hat der SPD-Politiker Nils Heisterhagen einen interessanten Gastbeitrag verfasst. Unter dem etwas zu reißerischen Titel "Der postmoderne Irrtum" plädiert er für einen Abschied von Neoliberalismus und Hyperindividualismus und für die "Rückkehr der Idee des Gemeinsamen". In diesem Rahmen kommt er auch auf die Gefahren der starken Bezugnahme auf Identitäten zu sprechen, zu der ich ebenfalls vor ein paar Tagen (am 15. Tag) ein paar Gedanken formuliert habe.
Bei Heisterhagen klingt das so: Die FAZ zitierend sagt er "Statt um den Austausch von Argumenten geht es um Gruppenzugehörigkeit und die bessere Moral." Dann fährt er fort: "In der Folge parzelliert sich die Gesellschaft und keiner interessiert sich mehr wirklich für den anderen. Dazu kommt: man denkt viel häufiger in Kategorien von "wir" und "die". So spaltet sich die Gesellschaft in Gruppen, die sich gegenseitig mittels einer eigenen Identitätspolitik vorwerfen, Unrecht zu haben".
Das ist ziemlich nahe an dem, was mir durch den Kopf ging.

In derselben Zeitung steht eine ausgesprochen kritische Zwischenbilanz nach zehn Jahren Inklusion an Schulen in Deutschland. Wie immer man zu diesem Thema steht, international betrachtet liegt Deutschland beim Versuch, Menschen mit Lernschwächen und Behinderungen in den normalen Schulalltag einzugliedern, ziemlich weit hinten. Der Satz aus Art. 3, Abs. 3 "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." von dem gestern (17. Tag) im Rahmen eines Waldweges für Rollstuhlfahrer die Rede war, scheint noch nicht die Aufmerksamkeit zu bekommen, die er verdient.

Zum Schluss noch ein sehr bizarres Fundstück: Gestern habe ich zufälligerweise in der Mediathek der ARD eine Szene aus einer Show gefunden, bei der es um das GG ging. Die Show heißt "Klein gegen Groß" oder so ähnlich und da treten Kinder gegen Erwachsene an. Die Idee ist schon fragwürdig genug. Hier ging es jedenfalls darum, dass ein 11jähriges Mädchen gegen einen Richter antrat mit der Behauptung, alle Artikel des Grundgesetzes auswendig zu wissen und zitieren zu können, wenn man ihr den Artikel nennt. Einerseits ist es sehr beeindruckend, dass das Kind (und der Richter) das GG faktisch ganz auswendig kennt. Aber als so eine Art sportliche Leistung ist das ganze ziemlich sinnlos. Das schien in der Show niemanden zu stören. Der Richter hat sehr leise versucht, mal kurz auf den Inhalt des GG hinzuweisen, aber daran war der Showmaster überhaupt nicht interessiert.
Unterhaltung für Konsumenten statt für Bürger*innen. Da kann man schon mal kulturkritisch gestimmt werden.....

Weiter geht es mit der GG-Wanderung wahrscheinlich Ende Mai/Anfang Juni.
Ich freue mich auf Kommentare, Hinweise und Fragen!


Freitag, 20. April 2018

Der 17. Tag: 20. April 2018

Oberveischede - Hohe Bracht - Bilstein

Auf dem ersten Teilstück der heutigen Wanderung vom Hotel in Oberveischede zur Hohen Bracht (schöner Weg mit einigen Höhenmetern) bin ich mit der gestern schon auftauchenden Frage durch die Wälder gestreift, was ich hier eigentlich mache. Konkret habe ich mir überlegt, in welchem Feld, oder besser: Wirkungsfeld ich mich mit der GG-Wanderung bewege. Wenn ich mir die Struktur oder das Aufgabenfeld der Wanderperformance ansehe, dann gibt es vier Pole, die aufeinander wirken können:
- die Menschen, die mir zuhören, die den Blog lesen und mit denen ich wie und wann auch immer über meine Aktion ins Gespräch komme.
- die Orte, an denen ich rezitiere
- der Text der Grundrechte in der Rezitation und im Lesen und Nachdenken
- ich selbst als Akteur!

Diese vier Pole Text, Leute, Orte, ich wirken in alle möglichen Richtungen aufeinander.
Ich glaube, ich kann die Wirkung auf mich selbst wieder etwas stärker in den Fokus bringen - statt damit zu hadern, keine direkte Wirkung bei den Menschen zu erzielen. Darum geht es ja gar nicht. Für den Performance-Charakter der Aktion ist es viel bedeutender, mich dauernd in der Position des Forschers und des Versuchskaninchens zu halten (respektive des "langsamen Versuchshasen").
Dazu gehört auch, je nach Laune, die Grundrechte des GG während des Gehens nur für mich zu rezitieren. Das habe ich heute getan und werde es weiterhin praktizieren.



Zwischenstation war heute die Hohe Bracht, ein Aussichtspunkt oberhalb von Bilstein, mit Turm und Gebäude, die wahrscheinlich aus den 1920er Jahren stammen. Anklänge ans Bauhaus sind unverkennbar.
Letzten November wurde der frisch restaurierte Ort neu eröffnet, inklusive eines Waldweges für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer!
Das Ganze ist demnach ein Beispiel für die aktive Umsetzung von Artikel 3 Abs.3: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."






















Ein guter Ort für eine Rezitation um 12.30 Uhr an einem Ruheplatz des Waldweges für Rollstuhlfahrer an der Hohen Bracht.


















Vorher gab es auf der Terrasse Kaffee und Kartoffelsuppe (beides gut). Außerdem habe ich mit dem jungen neuen Pächter gesprochen, der erzählte, wie die Regeln des Denkmalschutzes die Renovierung beeinflusst haben. Das Ergebnis ist gelungen. Der Ort strahlt eine angenehme Atmosphäre aus.
Von der Hohen Bracht ging es in der apriluntypischen Mittagshitze bergab nach Bilstein, einem weiteren etwas zu sauberen und schmucken Örtchen auf meinem Weg.
Mein Plan war, in der Jugendherberge, die in der sehr schön gelegenen Burg aus dem 13. Jahrhundert eingerichtet ist, nach einer Einzelunterkunft zu fragen und den Rest des Tages hier entspannt zu verbringen. Das ist auch soweit gelungen, wenn man davon absieht, dass ich das jugendherbergliche Kleinkindaufkommen an einem Freitag klar unterschätzt habe.


Fundstücke:


Frosch im Herbergsbrunnen





Donnerstag, 19. April 2018

Der 16. Tag: 19. April 2018

Eichhagen - Olpe - Oberveischede

In einem Traum heute Nacht ging es darum, dass ich einen großen Anhänger mit Büchern mit einem Lastenaufzug in einen Raum bringen sollte, vielleicht das Kölner Loft, auf jeden Fall ging es um Kunst. Den Anhänger in den Aufzug zu ziehen ging schief. Die Bücher lagen alle verstreut auf der Straße. Ich habe versucht, alle Bücher wieder zusammen zu räumen.
Die erste Assoziation zu dem Traum betraf einen Moment gestern als mich zum ersten Mal überhaupt auf der Wanderung ein Gefühl von Resignation überkam und Zweifel auftauchten, ob ich mit meiner Aktion irgendwo auf Resonanz stoße. Ausgelöst wurde die Anwandlung durch den ersten Besuch im Tourist-Info von Olpe, wo niemand mit dem Namen Mataré etwas anfangen konnte. Ich bin dadurch in eine Oberlehrer-Attitüde gerutscht. Und da könnte der Sinn des Traumes liegen: Wenn ich die GG-Wanderung zu sehr mit meinem Wissen (respektive Halbwissen) belaste, wird keine Kunst draus. Meine Aufgabe ist es, offen zu bleiben - auch für resignative Gefühle - und das Gespräch zu suchen. Den Bildungskram kann ich zur Not in diesen Blog packen.

Am Morgen bin ich von Eichhagen am Biggesee und an großen Straßen entlang zurück nach Olpe. Dort habe ich mir eine Ausstellung zum ersten Weltkrieg angesehen mit Fotos von Soldaten und einigen sehr starken Zitaten aus Feldpostbriefen, die zeigen, wie schnell die Soldaten begriffen haben, dass dieser Krieg nichts mehr mit der alten Idee von halbwegs fairem Kampf gegeneinander zu tun hatte, sondern nur noch in den Kategorien von Abschlachten und Leiden abläuft.

Diese Erfahrung war im übrigen eine internationale! Die Soldaten aller beteiligten Länder mussten diesen Kulturschock ertragen und für alle, die diese Erfahrung nicht mitmachen, war es offenbar ganz unverständlich, dass der Krieg so offenkundig nichts mehr mit Heldenmut und ähnlichem tun haben sollte. Kein Wunder, dass es Marinesoldaten waren, die durch ihren Streik das Ende des Krieges 1918 erzwangen und kein Wunder, dass diese Soldaten von vielen als Verräter betrachtet wurden. Dabei waren sie diejenigen, die verstanden hatten, dass es in der Barbarei der hochmodernen Materialschlachten keine Gewinner mehr geben kann. Hätten die Politiker damals auf diese Soldaten gehört, wäre das 20. Jahrhundert wahrscheinlich anders verlaufen.

Kurz habe ich überlegt, ob ich in der Ausstellung eine Rezitation machen soll, aber mir wird gerade die Gefahr zu groß, dass die Wanderung zu einem Kriegsgedenklauf wird. Also habe ich mich nach einem Kaffee wieder auf den Weg gemacht.

Der führte durch viel sehr schönen Wald und auf den "Napoleonweg".


Diese Namensgebung stellt eine interessante Verbindung zwischen der französischen Revolution 1789 und der (ost-) deutschen Revolution 1989 her. Zugleich ergibt sich über die Verbindung von Napoleon mit der deutschen Geschichte der Hinweis auf den Einfluss der französischen Erklärung der allgemeinen Menschenrechte auf das deutsche Grundgesetz.

Ein guter Ort für eine Rezitation, die um 14.15. Uhr an einer ziemlich alten Bank irgendwo im Wald stattfand.

Da kann man sich natürlich fragen, was das soll, irgendwo unter Bäumen an einer bemoosten Bank das Grundgesetz zu rezitieren. Ohne die geringste Chance auf ein mithörendes Publikum. Für wen oder was soll das gut sein? Antwort: für mich! Auf mich hat die Rezitation eine Wirkung, auch wenn ich sie nicht unbedingt in Worte fassen kann. Zugegeben, dass ich mich selbst etwas merkwürdig fühlte, doch gleichzeitig war die Waldrezitation mit einem ganz angenehmen Gefühl von Freiheit gepaart. Art. 2: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit..... 

Danach ging es durch die Frühnachmittagshitze weiter, an einem Ski-Gebiet (!) vorbei. Dort stand auf einem Plakat das schöne Wort Beschneiung

Irgendwann bin ich vom WDE abgebogen, um in Oberveischede mein Quartier für die Nacht in einem weiteren Landgasthof zu finden. 

Fundstücke:

Himmelszeichnung


 Spiegelung





vergessene Mumie


Mittwoch, 18. April 2018

Der 15. Tag: 18. April 2018

Wildberger Hütte - Olpe - (Eichhagen)

Ein relativ großes Teilstück der heutigen Etappe verlief im akustischen und im Windschatten der Autobahn. Dreimal ging es über die A4 und dann einmal unter der A45 hindurch. Autobahnen sind, wie es so schön metaphorisch heißt, Verkehrsadern, die Menschen und Dinge dorthin bringen, wo sie hinsollen oder -wollen. In Deutschland haben die Autobahnen - wie so vieles - eine schwierige Geschichte, nicht nur, weil sie anfänglich von den Nazis gebaut wurden, sondern weil dieser Bau oft als die "gute Tat" der Nazis angeführt wird. Kein Kommentar.
Die A4 spielt für die GG-Wanderung insofern eine Rolle, als sie mit einigen Streckenunterbrechungen von Aachen in die Nähe von Görlitz führt und so Start- und Endpunkt meiner Wanderperformance verbindet.

Grund genug, eine Rezitation direkt an und über der Autobahn zu machen, nämlich um 10.45 Uhr am ersten Übergang über die A4, am hinteren Brückenkopf.


Mich erinnern die Autobahnen außerdem an meinen Job als Radiosprecher, bei dem ich bis vor einigen Jahren auch die Verkehrsmeldungen gelesen habe, in den ersten Jahren für ganz Deutschland (im DLF) und später für NRW (im WDR). Die Tatsache, dass ich diese spezielle Tätigkeit heute nicht mehr ausübe, verweist auf Art. 12 des GG, nach dem die Berufswahl frei ist. Das Recht auf freie Berufswahl gilt nicht bedingungslos, sondern ist davon abhängig, welche Möglichkeiten sich bieten. Außerdem stellt es ein negatives Recht dar, denn ich muss keinen Job machen, den ich nicht machen will.

Man könnte allerdings mit guten Gründen in Zweifel ziehen, dass die heutigen Hartz IV-Regelungen mit Art. 12, mit oben erwähntem Abs. 1 und mit Abs. 2: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden...." in Einklang stehen. Für einen Langzeitarbeitslosen ist die Berufswahl alles andere als frei und wenn er/sie sich weigert, "kooperativ" zu sein, kann ihm oder ihr das Geld gestrichen werden. Das könnte als Verstoß gegen Art 12, Abs. 2 verstanden werden. Dahinter steckt meines Erachtens die für unsere Epoche charakteristische Überbewertung der Arbeit, oder genauer der Erwerbsarbeit für das Selbstverständnis des modernen Menschen. Aber das ist ein anderes Thema, das nicht direkt mit den Grundrechten des GG in Zusammenhang steht.

Danach ging es weiter nach Olpe. Dort angekommen bin ich durch eine Beobachtung, die ich in so gut wie allen Orten der April-Wanderung gemacht habe, zu einer eher beunruhigenden Frage gekommen. Mir ist aufgefallen, wie viele Häuser in den meist kleineren Orten eine Fahnenstange vorne stehen haben, an der manchmal eine Deutschlandflagge in Schwarz-Rot-Gold hängt. So weit so merkwürdig. Befremdlich ist aber für mich noch mehr, dass vor vielen Häusern die Flagge eines Fußballvereins hängt, manchmal in völlig überdimensionierten Ausmaßen.
Das ist bizarr und ich frage mich, ob damit das Verlangen nach Zugehörigkeit und Identifikation in Aktion gezeigt wird. An diesem Wunsch ist ja nichts falsch. Beunruhigend daran ist für mich eher, dass einige Leute in dieser übertriebenen Form ihre Zugehörigkeit mit Flaggen herausposaunen, anscheinend unbekümmert darum, ob die anderen das so sehen oder hören wollen. Dem Fußballclub wird damit die Leitfunktion für das eigene öffentliche Selbstverständnis gegeben. Was treibt Menschen, ihr für andere doch ziemlich nebensächliches Bekenntnis zu einem Sportverein so ins öffentliche Zentrum zu stellen?
Für unser Thema ist es interessanter zu fragen, ob das GG, und besonders die Grundrechte, ähnliche identitätsstiftende Qualitäten entwickeln könnte. Verfassungspatriotismus ist dazu das Stichwort.

Doch das Grundproblem liegt womöglich tiefer. Heute ist es für viele Menschen ein großes Bedürfnis, ihre Identität als Zugehörige zu einer bestimmten Gruppe öffentlich zu machen. In vielen auch politischen Debatten geht es oft nicht mehr primär um die Argumente, sondern darum, wer sie vorbringt und inwiefern die Argumente nur die Identität des Debattierenden wiederspiegeln. (Schlechte Karten haben in den meisten Debatten zur Zeit alte, weiße Männer....) Ich fürchte, unter dieser Tendenz leidet der Austausch von Argumenten in Diskussionen mehr als die Debatte dadurch gewinnt. Es scheint wichtiger geworden zu sein, welche Identität jemand vor sich herträgt als was er/sie zu sagen hat.
Das GG sichert in Art. 3 ab, dass niemand wegen seiner Identität bzw. "wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse (??), seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt" wird. Und: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Das ist sehr weise.

(Nebenbei stellt sich die Frage, ob es ein bloßer Zufall ist, dass eine neuere rechtsextreme Bewegung sich den Namen "Die Identitären" gewählt hat. Das Primat der Identität eignet sich nämlich sehr dazu, bestimmte Menschen auszuschließen oder gar zu bekämpfen, weil sie vermeintlich nicht dazu gehören.)

In Olpe angekommen habe ich direkt die von Ewald Mataré gestaltete Gedenkstätte gesucht, die an der Stadtmauer im Zentrum der Stadt liegt, und ich konnte zuerst gar nicht glauben, sie gefunden zu haben. Ich habe mich in den vergangenen Monaten ein wenig mit Mataré beschäftigt, als einem Vertreter der rheinischen Moderne und als Lehrer von Joseph Beuys. Die Arbeit in Olpe zählt für mich nicht zu den Glanzstücken seines Werkes. Ein großes goldenes Kreuz, eine schwarze Kette mit Totenköpfen und eine Steinplatte mit der Aufschrift:  

Gefallen - Erniedrigt - Gehetzt. 
Wachet für Freiheit und Recht.






Jedenfalls habe ich dort die zweite Rezitation des Tages gemacht, und zwar um 15.15 Uhr.















Die Suche nach einer Unterkunft gestaltete sich erstaunlich schwierig und zuguterletzt bin ich in Eichhagen gelandet. Das liegt nicht ganz auf meinem Weg, sondern etwas nördlicher direkt am Biggesee.

Fundstücke:
schwarz-rot-gold à la Mataré:



zwei Einträge ins Gästebuch. Welcher stammt von mir?


Dienstag, 17. April 2018

Der 14. Tag: 17. April 2018

(Vierbucher Mühle) - Waldbröl - Wildberger Hütte

Am relativ frühen Morgen bin ich von der Vierbucher Mühle losgegangen zum eigentlichen Ausgangsort der Wanderung heute. Mich erwartete ein wunderbarer Frühlingsmorgen mit Sonnenschein, frischer und klarer Luft und einem sehr angenehmen Weg durch Wald und Aue. In Waldbröl gab es zwei bemerkenswerte Begegnungen, eine direkt vor meiner Rezitation und eine zweite kurz bevor ich Waldbröl wandernd verlassen habe. Es handelte sich um zwei Gespräche mit Menschen, die den Krieg noch am eigenen Leib erlebt haben und mit der Erinnerung sehr unterschiedlich umgehen.

Der erste Teil des Weges hieß Waldmythenweg, ein wie sich herausstellte eher irreführender Name. An der ersten Station wurde der "deutsche Mythos" Wald auf den römischen Schriftsteller Tacitus  bezogen, der zum ersten Mal in der Geschichte den Wald in "Germanien" beschrieb und auf seine dunklen, gefährlichen und geheimnisvollen Seiten hinwies. Durch die Gebrüder Grimm wurde dieses Bild vom deutschen Wald, das ja eigentlich aus der bildungstouristischen Feder des antiken Besuchers Tacitus stammte, zum Bestandteil des "deutschen" Selbstverständnis. (Unterstützt durch die französischen Märchen, die die Gebrüder Grimm in den Hugenottenfamilien in Kassel aufschnappten und zu den deutschen Hausmärchen machten.)
Bis ins Grundgesetz hat es der Wald allerdings nicht geschafft, ein Recht auf intakte Umwelt taucht dort nicht auf. Erst in Art. 20a ist davon die Rede, dort aber nur noch als nicht einklagbares Staatsziel.

Die zweite Schautafel des Waldmythenweges beschäftigte sich mit Robin Hood und bringt damit sozusagen den europäischen Aspekt des Mythos Wald ins Spiel. Wobei Robin Hood ja eher eine Legende ist und auf dem Mythenweg im Bergischen Wald nur auftaucht, weil es in diesem Gebiet auch so eine Art Robin Hood gegeben haben soll, allerdings erst im 19. Jahrhundert. Er hieß Carl Biebighäuser.

Die ganze Geschichte weist jedenfalls auf Art. 14, Abs. 2  hin: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen." Robin Hoods tauchen vielleicht immer dann auf, wenn dieser Artikel nicht beachtet wird. Dann müsste bald mal wieder einer die Wälder unsicher machen....


Die erste und einzige Rezitation des Tages fand in Waldbröl an der so genannten Friedensmauer (die manchmal auch Hitlermauer heißt) statt.

Sie stellte sich als eine olfaktorische Herausforderung dar, denn die Wiese vor der Mauer war kurz vor meinem Eintreffen geodelt und mit Gülle besprengt worden und stank entsprechend.

(ganz klein in der Mitte der Traktor. Mich wundert, dass es erstens anscheinend heute erlaubt ist, auch dann Gülle auszufahren, wenn kein Regen zu erwarten ist und zweitens, dass eine Wiese so nahe am Ort gelegen überhaupt geodelt werden darf.)






Die Friedensmauer ist eine Hinterlassenschaft der Nazis, die an der Stelle eine große Ausbildungsstätte für ihren jugendlichen Nachwuchs errichten wollten. Daraus ist nichts geworden, aber die Mauer steht noch. Vor einigen Jahren hat eine Schulklasse dort den Spruch "Nie wieder Krieg" angebracht und die Stadt war klug genug, ihn dort zu lassen.

Bevor ich mit der Rezitation beginnen konnte, hatte ich eine Begegnung mit einem alten Mann, der gemeinsam mit einem jüngeren (seinem Sohn?) oben auf der Mauer stand. Als er mich sah, sprach er mich an und fragte ziemlich laut und aggressiv, ob ich da Müll wegwerfen oder sammeln wolle. Ich habe erst gar nicht verstanden, was er wollte. Er meinte, dass ich nach Leergut suchen würde. Ganz schön unverschämt (Vielleicht muss ich doch demnächst mal wieder zum Friseur?) Ich habe ihm relativ klar geantwortet, aber zugleich wollte ich die Gelegenheit nutzen, ihn zum Sprechen zu bringen. Ich habe ihn nach der Mauer gefragt und er erzählte ihre Geschichte. Er wusste (natürlich), dass diese Woche der Geburtstag von Hitler sein würde und erzählte, dass während des Krieges Baldur von Schirach zu dem Anlass eine große Feier mit der HJ dort organisiert habe (Das muss wohl vor Kriegsbeginn gewesen sein, weil von Schirach danach kein "Reichsjugendführer" mehr war.)

Dann gab er noch die Anekdote zum Besten, dass anlässlich eines Besuches von Kanzlerin Merkel die Schrift auf der Mauer ausgebessert worden sei, "für die Politiker". Dass die Aktion, die Schrift aufzubringen, ursprünglich von Schülern initiiert worden ist, fand er gut. Ich habe ihm von meiner GG-Aktion erzählt und seine erste Frage war, wie ich das denn finanzieren würde. Meine Antwort schien ihn zu beruhigen und zum Schluss meinte er, ich sei ja ganz schön mutig und wir beide könnten noch lange miteinander reden. Dann ging er seines Weges .....
und als ich mit meiner Rezitation beginnen wollte, kam der Traktor wieder auf die Wiese gefahren. Anscheinend war dem Bauer nicht ganz geheuer, mich auf seiner Wiese zu sehen und er fuhr wieder weg.

Direkt vor der Schrift an der Mauer fand die Rezitation statt.




Der Geruch hatte sich mittlerweile verschlimmert und ich war froh, dort wieder weg zu kommen.










Danach ging es weiter in Richtung Olpe. Am Ortsende fand die zweite bemerkenswerte Begegnung des Tages statt. Eine ältere Dame, die ihren Rauhaardackel ausführte, freute sich, einen Wanderer zu sehen, was ihr anscheinend nicht oft passiert. Ich habe ihr gesagt, was ich mache und wo ich hingehe und dann sagte sie, sie sei in der Nähe von Görlitz geboren. Als kleines Kind flüchtete sie in einem Zug, der schwer verletzte Soldaten von der Front wegbrachte, nach Westen. Sie saß dabei auf den Pritschen, auf denen die Verletzten lagen und die Erinnerung daran hat sie augenscheinlich immer noch geschmerzt. Der Zug, in dem sie saß, führ über Dresden. Sie (ihre Familie?) entschieden sich, nicht dort zu bleiben, sondern noch weiter zu fahren und am nächsten Tag sahen sie aus der Ferne, wie Dresden (bei den Bombardements im Februar 1945) in Flammen stand. Wahrscheinlich - so meinte sie - hätte sie nicht überlebt, wenn sie in Dresden geblieben wäre.

Unsere ganze Lebenswelt ist anscheinend gespickt mit solchen Erinnerungen. Egal, ob sie erzählt oder verschwiegen werden, sie wirken kontinuierlich nach und haben den Aufbau der beiden Nachkriegsdeutschlande mitgeprägt. Bis heute leben wir mit diesen Erinnerungen, auch wenn wir sie konkret gar nicht kennen. Das Grundgesetz war eine direkte und starke Antwort auf die Zeit des Krieges und des Holocaust und darin, welche Grundrechte jeweils im Fokus unserer Gesellschaft stehen, spiegelt sich auch wieder, mit welchen Anteilen der Geschichte wir uns gerade beschäftigen und welche wir vernächlässigen.

Auf ungefähr halbem Wege nach Olpe (wenn man die Umwege nicht mitrechnet) bin ich für die Nacht in Wildberger Hütte im Landhaus Wuttke eingekehrt.

Fundstücke:



"Heimdecor" der anderen Art.



















viel Gegend hier.....

Montag, 16. April 2018

Der 13. Tag: 16. April 2018

Schladern - Waldbröl - (Vierbucher Mühle)

Es hat mich einige Mühe gekostet, die GG-Wanderung in diesem Jahr wieder zu starten. Einige äußere und innere Aspekte, die zumindest so aussahen bzw. sich so anfühlten, als hielten mich vom Wandern ab, waren lange wirksam. Dazu gehörte eine hartnäckige Problematik mit meiner Hüfte, von der ich - mit taoistisch und psychoanalytisch geschultem Blick - bereits ahnte, dass es sich nicht nur um ein körperliches "Problem" handelte. Was soll ich sagen: Die Schmerzen sind im Laufe der Woche verschwunden.
Jedenfalls ist es mir heute mit der Hilfe einiger Mitwanderer gelungen, die erste Etappe des Jahres zu laufen. Begonnen habe ich in Schladern an der Sieg. Die erste und einzige Rezitation des Tages fand an einem Ort statt, an dem in der Nazi-Zeit ein Lager für russische Zwangsarbeiter stand. Bekanntlich wurden die russischen Zwangsarbeiter noch viel schlechter behandelt als diejenigen aus anderen Ländern.


 


Das ist ein Schandfleck in der deutschen Geschichte, der noch auf eine angemessene Offenlegung wartet. Der Ort war für den Start in die diesjährige GG-Wanderung sehr geeignet, weil er mit aller Vehemenz auf Artikel 1 des GG hinweist: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Unabhängig von der Nationalität des Menschen.

Danach ging es los in Richtung Waldbröl. Trotz guter Wanderkarte und GPS sind wir an einer Stelle falsch abgebogen und haben einen unfreiwilligen Umweg eingelegt. Waldbröl zeigte sich nicht von seiner gastfreundlichen Seite, denn es ist mir dort nicht gelungen, eine Bleibe für die Nacht zu finden. Die Hotels und die Jugendherberge waren voll und das buddhistische Zentrum hat mich abgewiesen.

Zu dem buddhistischen Zentrum gibt es eine Geschichte aus meiner Vergangenheit: Im Jahr 1985 habe ich in Waldbröl eine Schulung im Rahmen meines Zivildienstes gemacht. Meine Erinnerung daran ist nur noch vage. Ich weiß noch, dass wir in Rollstühlen durch den Ort gefahren sind bzw. uns mit Augenbinde als Blinde von anderen Zivis herumführen ließen. Es ging um eine Schulung für Zivis in der Pflege, zu denen ich eigentlich gar nicht gehörte. Ich habe in einem Reha-Zentrum in der psychologischen Abteilung gearbeitet.
Die damalige Zivildienstschule ist heute Teil des Zentrums. Zivildienst gibt es ja nicht mehr! Aber die entsprechenden Artikel im GG stehen noch da: Art 4, Abs. 3: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden."
Und Art. 12a, Abs. 2: "Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen."
Die Wehrpflicht - und damit die Möglichkeit einen Zivildienst zu machen -  sind nur ausgesetzt im Moment und könnten theoretisch wieder eingeführt werden. Wir haben darüber gesprochen, dass wir es eigentlich gut fänden, wenn es für junge Leute nach der Schule ein verpflichtendes soziales Jahr geben würde, das die Gelegenheit eröffnen könnte, zwischen Schule und Beruf eine andere Erfahrung zu machen, u.a. die, dass es manchmal erfüllend und sogar beglückend sein kann, zu helfen! Die Möglichkeit eines solchen Sozialdienstes ist aber durch das GG ausgeschlossen, denn in Art.12, Abs. 2 heißt es: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen, allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht."

Übrigens bin ich im Rahmen des Zivildienstes auch nach Auschwitz gefahren. Die Zeit war für meine politische Sozialisation von großer Bedeutung.

Auf der Suche nach einer Unterkunft bin ich eine Zeit lang durch Waldbröl geirrt und aus welchen Gründen auch immer vor dem Krankenhaus gelandet. Dort habe ich auf einer Parkbank sitzend ein Hotel in der Nähe angerufen, das auch schon ausgebucht war und dann entschieden, zur Vierbucher Mühle zu fahren. Nach dem Anruf sprach mich eine Frau mit osteuropäischen Akzent freundlich an und meinte, Jesus könne mir bestimmt helfen. Sie hat das wohl nicht so ganz konkret auf meine Suche nach einer Bleibe für die Nacht bezogen, obwohl das nach der Abfuhr, die ich im buddhistischen Zentrum erfahren hatte, gut gepasst hätte. Ich fand die Idee, mir Jesus in diesem Zusammenhang als Lösung zu präsentieren, ein wenig skurril (dahinter scheint die seltsame Idee zu stecken, Jesus als eine Art Talismann zu verstehen) und habe mit der Frau auch darüber diskutiert. Dabei hat sie mir versichert, nicht von den Zeugen Jehovas zu kommen. Art. 4: "Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich."

Untergekommen bin ich tatsächlich im "Haus am Mühlenberg" an der Vierbucher Mühle, acht Kilometer von Waldbröl entfernt. Ich habe mir, um meine Kondition am ersten Tag der Wanderung nicht überzustrapazieren, ein Taxi dorthin geleistet.

Fundstücke:






 Strebenwald im Wald, um selbigen von oben sichtbar zu machen. Das nennt man Baumwipfelpfad (an der JH in Waldbröl).