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Mittwoch, 27. Juni 2018

Der 25. Tag: 25.Juni 2018

Fritzlar - Heiligenberg - Melsungen

Am Morgen, nach einer Nacht im Hotel Kaiserpfalz, das zugleich ein Altenstift beherbergt, habe ich mich auf den Weg nach Melsungen gemacht und es dauerte etwas, bis ich den richtigen Weg aus Fritzlar hinaus gefunden hatte. Im nächsten Ort Obermöllrich habe ich eine Abzweigung verpasst und bin erstmal in die falsche Richtung gelaufen.

Der Wanderweg der Deutschen Einheit ist auf diesem Streckenabschnitt zugleich der "Ars natura"-Weg, der mir bereits auf den Etappen Ende Mai begegnet war. In unregelmäßigen Abständen findet man am Wegesrand Arbeiten von Künstlern, die mich teilweise sehr beeindruckt haben. Und besonders am heutigen Tag waren die Skulpturen und Installationen eine willkommene Abwechslung auf einem streckenweise sehr eintönigen Weg.

Der Höhepunkt der Wanderung war im doppelten Sinne der Heiligenberg, der zwischen den Orten Felsberg und Heßlar liegt. Dort gibt es Zeugnisse für Besiedelung, die bis zur  Eisenzeit zurückgehen. Im Mittelalter stand dort eine Festung, die eine gewisse Bedeutung für die Region besaß. Der Ort hat eine starke Wirkung auf mich ausgeübt.





Ein Berg mit freiem Blick in alle Himmelsrichtungen, dazu die Ruinen der Burg und die Mauerreste und Wallanlagen aus sehr frühen Zeiten. In dem Tor, durch das man den Burgbezirk betritt, hängt eine Glocke, die von den Flüchtlingen, die Ende des 2. Weltkrieges aus dem Osten kamen und hier in den Orten Unterschlupf und ein neues Zuhause fanden, gestiftet wurde.






Der Platz hat mich ermuntert, dort eine Rezitation zu machen, die um ca. 14.00 Uhr auf dem Aussichtssturm stattfand. Es war ein schönes Gefühl, in alle Richtungen sprechen zu können. In der Mitte des Turmes gab es außerdem ein interessantes akustisches Phänomen, eine Art Hall, obwohl die Mauern ringsherum nicht sonderlich hoch waren und es kein Dach gab, das den Schall hätte zurückwerfen können.





Danach ging ich merkwürdig erfrischt weiter nach Heßlar, wo ein Gerichtsstein stehen soll, den ich mir eigentlich als heutige Rezitationsstelle ausgewählt hatte. Ich glaube, ich habe den Stein auch gefunden, allerdings ohne irgendeinen schriftlichen Hinweis, worum es sich da genau handelt.
Das war mir dann doch zu wenig für eine Rezitation. Typisch scheint zu sein, dass diese Steine unter Linden stehen. Sie repräsentieren eine sehr frühe Form der Gerichtsbarkeit, die eine wichtige Vollendung in Art. 3 Abs. 1 gefunden hat: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich."

Kurz vor Melsungen kam ich an einer Schutzhütte vorbei, die einem Dr. Soestmann gewidmet ist. Das war ein Arzt, der am Ende des 2. Weltkrieges Chefarzt der deutschen Truppen in Melsungen war und dafür gesorgt hat, dass der Ort kampflos den Amerikanern übergeben wurde. Damit hat er die Zerstörung der alten Stadt verhindert. Nur die alte Steinbrücke wurde von der deutschen Wehrmacht beim Rückzug gesprengt. Dieser Arzt hat die seltene und so wertvolle Mischung aus Vernunft und Mut in sich getragen. Chapeau.

Auf dem Weg von Bad Wildungen nach Melsungen habe ich einiges über die deutsche Geschichte gelernt, besonders über ein paar Ereignisse aus dem Mittelalter, von denen ich in der Schule nie etwas gehört habe. Vielleicht habe ich an den Tagen im Unterricht gefehlt - das ist nicht ausgeschlossen - oder die Thematik hat im Unterricht gefehlt. Auch das ist nicht unwahrscheinlich. St. Brigida, der "Heilige der Deutschen" Bonifatius, Heinrich der Erste, das Ende der Frankenregentschaft im ostfränkischen Reich, und das alles auf dem Barbarossaweg, dem ich in der Region durchgehend gefolgt bin.
Art. 7: "Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates." Aber es ist wohl eine immerwährende gesellschaftliche Aufgabe, zu klären, was in der Schule gelehrt wird. Ein großes Thema...

Fundstücke

 Ist das typisch deutsch? Ein Besen für die Bank im Wald.
oder das?














 oder das?

Sonntag, 24. Juni 2018

Der 24. Tag: 24. Juni 2018

Bad Wildungen - Fritzlar

Am Morgen um 9h bin ich von der Pension Gimpel, in der ich die Nacht verbracht habe, los in Richtung Fritzlar. In der Stadtkirche habe ich mir noch schnell das berühmte Altarbild, das offenbar von den Einwohnern "Brille" genannt wird, angesehen. Eine kunsthistorische Einordnung liegt nicht in meinem Kompetenzbereich.
Die Wanderung verlief in den ersten Stunden weitgehend ereignisarm. So hatte ich Zeit zum Nachdenken und beim Vor-mich-hin-Rezitieren blieb ich an einer kurzen Formulierung in Art. 2 hängen, die mir in der Regel ein inneres Naserümpfen entlockt. In Art. 2 Abs.1 heißt es: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder (und jetzt kommts) das Sittengesetz verstößt". Sittengesetz ist ein Wort aus der Mottenkiste. Allenfalls im Rahmen der praktischen Philosophie bei Kant hat der Begriff einen einigermaßen klaren Bedeutungsgehalt (als kategorischer Imperativ). Aber vermutlich wollten die Autoren des GG den Begriff nicht in dieser engen Weise verstanden wissen.
In Anbetracht eines Prozesses, der zur Zeit in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien zu beobachten ist und den man früher "Verfall der Sitten" genannt hätte, schlage ich eine neue Definition des Sittengesetzes vor: Es bezeichnet dann die Stufe der Zivilisiertheit, die im öffentlichen Diskurs keinesfalls unterschritten werden sollte.
Mir ist klar, dass diese Definition zu spät kommt. Das allgemeine Niveau des öffentlichen Umgangs miteinander zeigt mittlerweile so viele Ausschläge nach ganz unten - und zwar bis in Parlaments- und international auch Regierungskreise hinein - dass eine solche Grenzziehung nur noch naiv und hilfslos wirkt. Aber der Eindruck könnte trügen. Vielleicht wird es Zeit, Zivilisiertheit als Wert ins Bewusstsein zu rücken und Artikel 2 GG auch in diesem Sinne zu verstehen.


Die Wanderung führte mich nach einigen Stunden auf den Büraberg, auf dem eine Kirche steht, die der heiligen Brigida geweiht ist. Die ältesten Mauerreste sollen von 680 stammen. Das ist sehr alt! Brigida selbst ist um 525 gestorben und kam wohl mit den irischen Missionaren in die Gegend, die zu dieser Zeit in Mitteldeutschland erstaunlicherweise schon unterwegs waren. Dazu gehörte im frühen 8. Jahrhundert auch der hl. Bonifatius, auf den ich gleich zu sprechen komme.





Auf dem Weg nach Fritzlar hatte ich mir überlegt, die Rezitation vor dem sogenannten Hochzeitshaus zu machen. Dabei handelt es sich um ein sehr großes altes Fachwerkhaus ("das älteste Nordhessens"), in dem ein Museum für Ur- und Frühgeschichte beheimatet ist. Das ist allerdings zur Zeit und bis mindestens 2019 geschlossen. Früher wurden in dem Gebäude Hochzeiten und andere große Festlichkeiten begangen. Das Hochzeitshaus verweist damit auf Art. 6, nach dem "Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung" stehen. Art. 6 ist damit das erste im GG erwähnte Grundrecht, das sich nicht auf eine Errungenschaft der Aufklärung bezieht, sondern einer sehr alten Tradition, eben der von Ehe und Familie, Verfassungsrang gibt. Damit verankert sich das GG in althergebrachten Strukturen der Lebenswelt und behält zugleich eine Offenheit für Veränderungen. Denn die Idee etwas der gleichgeschlechtlichen Ehe, die in Art. 6 mittlerweile mitgedacht ist, gehört sicher nicht zum Althergebrachten.
Den Plan, am Hochzeitshaus zu rezitieren, habe ich nicht in die Tat umgesetzt. Es sollte anders kommen.




Fritzlar bedeutet ursprünglich "Ort des Friedens". Neben seiner Bedeutung für die Christianisierung Deutschlands wurde hier auch politische Geschichte geschrieben. Bei einem Reichstag im Jahr 919 wurde Heinrich der Erste zum König gewählt und damit war zum ersten Mal nicht ein Franke, sondern ein Sachse als Regent des "Ostfrankenreiches" installiert. Dieses Ereignis wird als Beginn des spätmittelalterlichen Deutschen Reiches betrachtet. Man weiß offenbar sehr wenig über diesen Heinrich, aber schon in den Jahrzehnten nach seinem Tod 936 wird er dafür gelobt, die Einung und die Befriedung des Reiches nach innen und außen erfolgreich betrieben zu haben.


Das erste, was ich in Fritzlar sah, war der sehr schöne Dom und den Domplatz, auf dem seit etwa 20 Jahren eine mehr oder weniger moderne Statue des heiligen Bonifatius mit einer Axt in der einen und dem Dom in der anderen Hand steht.

Im Jahr 723 soll Bonifatius ungefähr an der Stelle des heutigen Domes die Donareiche gefällt haben. Der Baum war ein Heiligtum der Chatten, eines germanischen Stammes, die ihn als Sitz des Gottes Donar verehrten. Die Tat gilt als Startpunkt der Christianisierung Mittel- und Norddeutschlands, obwohl die Missionierung schon im 6. Jahrhundert begann.

















 (das Denkmal könnte man auch anders verstehen.....)






Auf dem Vorplatz des Domes fand an dem Nachmittag ein Pfarrfest, oder genauer gesagt, eine Nach-Primiz eines Priesters, der in der Gemeinde als Kaplan tätig war, statt. In einem alten Gemäuer gab es Unmengen von den Frauen der Gemeinde gebackenen Kuchen und Kaffee. Das war eine willkommene Stärkung. Die Bonifatiusstatue, die ich mir als Rezitationsplatz ausgesucht hatte, steht etwas abseits; ich musste mich also für die Rezitation nicht mitten ins Pfarrfest stellen, das eh gerade zu Ende ging.

Hier habe ich um 14.40h eine Rezitation gemacht, bei der ich den Text dreimal vorgetragen habe.
Die Rezitation hatte einige Reaktionen zur Folge, die geradezu prototypische Qualitäten besaßen und stichwortmäßig auf drei Varianten reduziert werden können:
Aggressive Ignoranz,
egozentrische Vereinnahmung und
scheue Neugierde.
Als ich gerade loslegte, stellte sich eine Gruppe, die wie ein größerer Familienausflug aussah, praktisch direkt neben mich, aber ohne mich oder die Tatsache, dass ich offenbar etwas sprechend verlautbare, in irgendeiner Weise zu beachten. Alle redeten einfach weiter. Ich habe versucht, meine Konzentration zu halten und weiterzumachen, mit etwas mehr stimmlichem Einsatz, um meinen Platz (und den des GG) zu behaupten. Kurz vor Ende der ersten Rezitationsrunde machte sich die Gruppe aus dem Staub und ich entschied mich, eine weitere Rezitation anzuschließen. Kaum hatte ich damit begonnen - Art. 3 war noch nicht gesagt - kam ein älterer Mann auf mich zu, ignorierte völlig, dass ich mitten in der Rezitation war und begann mir seine Erfahrungen "mit dem Grundgesetz" in aller Ausführlichkeit zu erzählen. Das ganze lief auf eine jahrzehntelange juristische Auseinandersetzung hinaus, die irgendwelche Anschlusskosten eines Grundstückes zum Gegenstand hatte. Meine Interventionen, dass das nicht direkt was mit dem GG zu tun hätte, wohl aber die Tatsache, dass er überhaupt sein Recht einklagen konnte, verpufften natürlich absolut wirkungslos. Der Mann war ja nicht an einem Gespräch interessiert, oder daran, etwas zu hören. Er wollte von mir nichts wissen, sondern seine Geschichte zum besten geben. Die war nicht so herzzerreißend, dass sie mich sonderlich gerührt hätte, aber er hat es geschafft, dass ich die Rezitation unterbrechen musste. Nachdem er gegangen war, nahm ich die Rezitation wieder auf und schloss noch eine dritte an. In der Zeit gab es eine Frau, die anscheinend einen Fahradausflug machte und die über mehrere Minuten in sicherem Abstand von mir umherging und offenbar zuhörte. Eine andere Frau fotografierte mein Plakat! Zuguterletzt kam eine Mutter mit einem ca. 10jährigen Jungen auf mich zu, der zugleich sehr neugierig und scheu war. Er kletterte hinter mir auf den großen Baumstumpf, der Teil der Statue ist und blieb dort trotz der Rufe seiner Mutter, doch endlich weiterzugehen, relativ lange stehen und hörte mir zu. Das macht Hoffnung.
Die ganze Episode machte deutlich, unter welchen Gefahren das GG steht. Entweder es wird sozusagen absichtlich ignoriert oder nur im kleinstmöglichen egozentrischen Rahmen wahrgenommen. Die Idee der Grundrechte soll aber gerade diesen kleinen Rahmen aufsprengen und zeigen, dass die Menschenrechte für jeden gelten. Und dann gibt es Neugierde für das GG auf verschiedenen Ebenen, aber immer verbunden mit Zurückhaltung und Scheu. Immerhin. Neben der Gefährdung des GG wächst womöglich "das Rettende auch".



Fundstücke

Art. 5 Abs. 1 (freie Meinungsäußerung) und/oder Abs. 2 (Kunst ist frei) im Wald:


Das (untere kleine) Schild sollte eigentlich an allen Schulen hängen:





















ein Donaergeschenk? Da ist sie wieder, die Eiche............., diesmal hinter der Kirche.....

Samstag, 23. Juni 2018

Der 23. Tag: 23. Juni 2018

Anreise: Köln - Bad Wildungen

Artikel 11 GG garantiert allen Deutschen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Meine heutige Zugfahrt, die mich gefühlt durch ganz Hessen geschaukelt hat und die einige Stunden länger dauerte als geplant, war dafür eine schöne Illustration. Der Zug von Köln nach Siegen wurde durch eine kaputte Weiche davon abgehalten, pünktlich am Zielbahnhof einzutreffen. Genauer gesagt ist er gar nicht bis Siegen gekommen und hat stattdessen irgendwo die Richtung geändert und wieder zurück gefahren. Die ganze Odyssee will ich hier nicht ausbreiten. Nur eine Anekdote vielleicht: In Wabern stand ich eine viertel Stunde auf dem ansonsten völlig verlassenen Bahnhof herum.
Der Zug, der dann einfuhr, war ein ziemlich alter Dieselwagen, der sympathischer Weise innen keinerlei elektrische Anzeigen besaß, die einem sonst unablässig mitteilen, in welchem Zug man sich gerade befindet und in wieviel Minuten man den nächsten Bahnhof erreicht. Das Fehlen dieser Leuchtdiodenbasierten Informationen löste allerdings bei einigen Fahrgästen Verwirrung aus. Ein junger Mann war offenbar auf der Fahrt eingeschlafen und suchte nach dem Aufwachen nach einem Anhaltspunkt (!) darüber, wo er bzw. der Zug sich gerade befindet. Auf die Idee jemanden zu fragen, ist er dabei nicht gekommen. Eine Frau, die ein ähnliches Problem hatte, war klüger und fragte mich, ob wir schon in Wabern gewesen seien. Das konnte ich nur bejahen...
Bad Wildungen ist die Endstation der Zuglinie und die Gefahr, den Ausstieg zu verpassen, war für mich dementsprechend gering.


In Bad Wildungen angekommen habe ich mich direkt auf den Weg zur Stadtkirche gemacht, die um 1260 gebaut wurde. Den offenbar berühmten Altar konnte ich nicht bestaunen, weil die Kirche geschlossen war. Gegenüber der Kirche steht ein altes Schulgebäude, in dem heute ein Mehrgenerationenhaus residiert, nicht als Wohnprojekt, sondern als Treffpunkt für die Einwohner der Stadt. Vor der Treppe dieses Hauses habe ich um 17.40h eine Rezitation gemacht - ohne bemerkenswerte Anteilnahme der Bevölkerung.


Heute ist der Tag des zweiten Spiels der deutschen Mannschaft bei der Fussball-WM in Russland. Während der Rezitation fiel mir auf, dass meine Rezitationskette in diesem Rahmen eine neue Bedeutung gewinnt. Die Holzkugeln der Kette sind in den Farben schwarz, rot, gelb gehalten und das ist auch schon mein einziger Hinweis auf die deutschen Flaggenfarben. (Ansonsten orientiere ich mich am europäischen Blau.) Heute hätte man denken können, die Kette sei eine Deko für das abendliche Fussballereignis.



Ein Gedanke, der mich in den nächsten Tagen wahrscheinlich begleiten wird, hat direkt mit den aktuellen politischen Ereignissen zu tun. Auf die mich auf der gesamten GG-Wanderung begleitenden Frage, welche Art von Text das Grundgesetz eigentlich darstellt, drängt sich zur Zeit eine Antwort besonders in den Vordergrund: ein gefährdeter.

Fundstücke:
                                                                  durchgesessen?

Der 22. Tag: 2. Juni 2018

Burg Hessenstein - Frankenau - Bad Wildungen

Gestern (am 1. Juni) habe ich wegen einer sehr bedrohlich klingenden Wettervorhersage der von morgendlichem Regen bestätigt zu werden schien, eine Wanderpause eingelegt und mich in der Burg Hessenstein aufgehalten. Bei der Lektüre einer nordhessischen Regionalzeitschrift bin ich auf ein Interview gestoßen, in dem von einem Grundrecht des GG die Rede ist. Die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer spricht darin von der Pflicht des Bauherren gegenüber der Öffentlichkeit, beim Bau neuer Gebäude auch das Wohl der Allgemeinheit im Blick zu halten. Zitat: "Bauen ist nie nur privat, sondern immer auch öffentlich. Die Außenwand des Innenraums ist die Innenwand des Außenraums, die dritte Dimension des öffentlichen Raums. Unser Grundgesetz sagt: Eigentum verpflichtet und muss auch dem Gemeinwohl dienen!)


Am Morgen des 2. Juni bin ich um ca. halb neun losgegangen. Der Weg führte mich  durch den Nationalpark Kellerwald und die südlichen Abschnitte des Kellerwaldsteigs. Der erste Ort, durch den ich kam, hieß Frankenau. Dort habe ich mir einen Kaffee gegönnt und am Rande des Dorfes überraschenderweise eine gute Stelle für eine Rezitation gefunden. An einem kleinen Teich mit einer Sitzbank fiel mir ein Betonquader auf, der ungefähr 1,50 m hoch und 1,20 m breit war. Ich schaute mir den Stein etwas genauer an und auf der einen Seite fand ich zwei hölzerne Plaketten mit dem Namen und Geburtsdatum Goethes und dem Hinweis, dass der Gedenkstein zum 200sten Geburtstag des Dichters im Jahr 1949 aufgestellt wurde. Also im selben Jahr, in dem das Grundgesetz in Kraft getreten ist. 
Ich weiß nichts über die Geschichte dieses Steins. In mir sind zwei Assoziationen aufgetaucht. Wer immer auch für dieses Goethe-Monument verantwortlich war, er oder sie hat wahrscheinlich damit kurz nach dem Krieg an eine „bessere“ deutsche Tradition anknüpfen wollen, als die es war, die gerade Europa verwüstet hatte. Das Besondere daran ist, dass dem Menschen klar gewesen zu sein schien, dass es kein einfaches Zurück gibt und bloße Nostalgie nicht weiter hilft. Deshalb wurde das Gedenken an Goethe nicht in eine neoklassizistische Büste gegossen, sondern mit einem schlichten und daher sehr modernen Stein versehen, der auch die Erinnerung an den Krieg zulässt. Das finde ich ziemlich stark und ich hätte sowas in einem kleinen Dorf irgendwo in Hessen nicht erwartet. Dort fand also um 10.30 h meine heutige Rezitation statt. 




Danach ging es ohne großartige Ereignisse, die man auf das Grundgesetz beziehen könnte, weiter. Es gab Begegnungen mit einem Reh und mit zwei Hasen (!!). Diese Erlebnisse wirken ja gerne wie die Sahnehäubchen einer Wanderung, auch wenn es eigentlich um was ganz anderes geht, in meinem Falle um das Grundgesetz. Es bleibt leider dabei, dass der Naturschutz als ein Grundrecht für die Menschen, die in dieser Welt leben, in den Grundrechten des GG nicht auftaucht. (Die Natur selbst kann nicht Adressat eines Grundrechtes sein, Grundrechte beziehen sich immer auf Menschen bzw. Staatsbürger.)

Immerhin kann ich noch eine tierische Anekdote berichten, die in Verbindung steht mit einigen Überlegungen, die ich am 19. Tag (29.5.) zum sozialen Status von Kuh- und Schafhirten notiert habe. Kurz hinter Frankenau bin ich an einer Schafherde vorbei gekommen. Schäfer und Hund waren etwas oberhalb der Wiese. Als ich an den Schafen vorbei ging, fing die Herde an, sich in meine Richtung zu bewegen und wurde daran vom heran hechtenden Hund gehindert. Der Schäfer meinte danach, seine Schafe würden halt gerne hinter einem Menschen mit Stock herlaufen. Mit anderen Worten: Die Schafe haben in mir einen potenziellen Schafhirten gesehen! Der Hund eher nicht, aber immerhin hat er mich auch nicht als verlorenes Schaf betrachtet....

Auf einem Teilstück des heutigen Weges gibt es einen Skulpturenweg namens Ars Naturalis. Die Arbeiten, die man dort betrachten kann, sind nicht so ambitioniert wie auf dem Waldskulpturenweg im Hochsauerland. Schon von der Größe her zeigen sie eine gewisse Bescheidenheit. Eine andere, nicht weniger angemessene Art, das Verhältnis zwischen Kunst und Natur auszugestalten. 

Das Grundrecht aus Art. 5, das Kunst versichert, frei zu sein, bekommt in der freien Natur eine schöne Nebenbedeutung. 
Hier ein paar Beispiele von Hans Lamb, Frank Bartecki und F. Michael Müller:
W ort



Irrgarten



Ohne Titel


Kurz vor Bad Wildungen kam ich an ein paar Quellen vorbei, die den Ruf des Ortes als Heilbad begründet haben. In der Stadt angekommen bin ich mehr oder weniger direkt zum Bahnhof gegangen und in den nächsten Zug gestiegen, der mich über Kassel nach Köln brachte. 

Freitag, 1. Juni 2018

Der 21. Tag: 31. Mai 2018

Medelon - Züschen - Burg Hessenstein

Am Morgen habe ich mich um ca 9.00h aus Medelon auf den Weg gemacht. Meine Überlegungen, morgens die Rezitation an der Gedenkstätte durchzuführen - nachdem sie abends von der Hochzeit verdrängt worden war - wurde durch die Vorbereitungen für die Fronleichnam-Prozession, die schon im Gange waren, endgültig ad acta gelegt. Inmitten von katholischen Fahnen und Straßenaltären wäre die GG-Rezitation so eine Art säkulare Ein-Mann-Gegenaktion geworden. Daran kann mir nichts liegen.
Die vergangenen Tage standen für mich sehr unter dem Thema der Grenze - Grenzen zwischen Stammes- und Herrschaftsbereichen, zwischen Konfessionen und Grenzen zwischen Sprachräumen. Und unter dem Thema der vielen oft gewalttätigen Grenzstreitigkeiten, unter denen das Hochsauerland offenbar über die Jahrhunderte so gelitten hat.
Heute habe ich dann die erste sozusagen offizielle Grenze meiner Wanderperformance überschritten, nämlich die von Nordrhein Westfalen nach Hessen.. Ohne den Übergang bemerkt zu haben. Der Grenzverlauf war bei Ronninghausen, wie ich im Nachhinein gesehen habe.
In Münden, dem ersten Ort auf hessischer Seite, habe ich dann eine Rezitation gemacht, um das Thema Grenze vorerst abzuschließen und vorher noch einmal zu betonen. In Ermangelung eines Dorfplatzes in Münden habe ich mich vor die Kirche gesetzt. Da es sich um ein evangelisches Gotteshaus handelte, kam keine Konkurrenz mit Fronleichnam auf.
Die 1. Rezitation des Tages fand also an der Marienkirche in Münden statt.


Während der Rezitation saßen in sicherer Entfernung (für mich? für sie?) ein paar Jugendliche auf der Mauer. Einer trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: "Wir sind die Macht"
Ich frage mich, ob der T-Shirt-Träger weiß, wie sehr er als Bürger damit recht hat: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Art. 20 GG.

Noch eine letzte Anekdote zur Grenze: Mir ist es gestern und heute nicht gelungen, im Sauerland eine Wanderkarte zu bekommen, die den Weg nach Hessen zeigt. Alle, die mir angeboten wurden, hörten an der Grenze auf!

Die Wegführung war heute im Vergleich zu den vergangenen Tagen nicht besonders ansprechend und vielleicht stand deshalb das Wandern oder das Ankommenwollen mehr in meinem Bewusstseinsvordergrund als sonst. (Außerdem war es sehr heiß und schwül...) Irgendwo auf dem Weg bekam ich einen Handyanruf aus der Jugendherberge Burg Hessenstein mit der Mitteilung, dass es noch ein Zimmer für mich gibt. Das hat mich etwas beflügelt und ich habe mir überlegt, auf der Burg, die zugleich ein freies Jugendbildungswerk ist, eine Rezitation zu machen.

Als ich von Donner begleitet in der Burg ankam, wurde in mir eine gedankliche Figur aktiviert, die schon gestern Abend und heute Morgen angesprungen war. Nach den ersten eigentlich sehr angenehmen Eindrücken - ich bekam das Behindertenzimmer als letztes freies Einzelzimmer und exklusiven Zugang zum Turmzimmer, wo es Fernseher und ein Bier gibt - war ich trotzdem überzeugt, eine Rezitation würde hier überhaupt nicht in den Rahmen passen. Während des Abendessens ging mir auf, dass sich da gerade etwas Seltsames in mir abspielt. Da hieß es mal wieder gegensteuern und so habe ich die zweite Rezitation des Tages um 18.45 h im Innenhof der Burg Hessenstein gemacht.


In Hörweite saßen zwei Frauen und zwei Männer von der großen Familiengruppe, die die Burg in Beschlag genommen hat. Zu Anfang hörten sie mit einem Ohr zu, dann kamen Kinder dazu und die Aufmerksamkeit verlagerte sich von mir weg. Meine Vermutung, dass die Rezitation nicht in den Rahmen passt, war also nicht ganz falsch. Aber das ist kein Grund, die Rezitation nicht zu machen. Wieder was gelernt.

Der Robert-Kolb-Weg (X6), dem ich durch das Hochsauerland gefolgt bin, kreuzte heute bzw. lief am Ende parallel zum X8, dem Barbarossa- Weg, der mich durch Hessen führen wird. Robert Kolb war Anfang des 20. Jahrhunderts "Hauptwegewart" des sauerländischen Geburtsvereins, von dem Ende des Jahrhunderts die Initiative für die Zusammenstellung des Wanderweges der Deutschen Einheit ausging.
Was Friedrich Barbarossa mit einem Wanderweg durch Hessen zu tun hat, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. (Wahrscheinlich hängt die Namensgebung mit der hessischen "Barbarossastadt" Gelnhausen zusammen.) Mit dem Wanderweg der deutschen Einheit kann man ihn in Zusammenhang bringen, weil sein Name mit dem eher unrühmlichen Mythos eines geeinten deutschen Reiches verbunden ist.  Mit etwas Phantasie kann man auch eine Linie von ihm zum GG ziehen. Mit seiner Herrschaft im 12. Jahrhundert kam es offenbar zu einem Wechsel im allgemeinen Regierungsstil. Vorher galten Milde und Barmherzigkeit als höchste Tugenden des Regenten, Barbarossa wollte sich dagegen an der Gerechtigkeit orientieren. In dieser Tradition steht das Grundgesetz. Denn Gerechtigkeit eignet sich eher als Barmherzigkeit als allgemeine Rechtsnorm. Barmherzigkeit ist eine hohe Tugend von Menschen, die nicht rechtlich verbindlich gemacht werden kann.

Morgen früh geht es weiter in Richtung Bad Wildungen.....(dachte ich jedenfalls, aber das Wetter hat mir vorgeschlagen, einen Tag Pause einzulegen.....)

Fundstücke:
                                  keine Skulptur (b)?
Wandern und Singen!






                   keine Skulptur (c)?