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Sonntag, 19. Mai 2019

Der 59. Tag: 19. Mai 2019

Neukirch - Arnsberg - Mönchswalder Berg - Cosul

Eine Besonderheit des Ortes Neukirch besteht darin, dass er wirklich seeeehr langgezogen ist. Von einem Ende zum anderen läuft man wahrscheinlich eine Stunde. Eine andere Besonderheit ist die, dass sich hier offenbar viele mittlere und kleine Gewerbe und Industrieunternehmen angesiedelt haben. Dem Dorf scheint es gut zu gehen. Wäre interessant zu erfahren, ob sich die Situation auf das Wahlverhalten auswirkt.
Wir sind am Morgen nicht durch den ganzen Ort gegangen, sondern nur zur Kirche, wo der Wanderweg beginnt, der uns zurück auf den WDE führen sollte. Kurz nachdem wir auf den Wanderweg abgebogen waren, ist mir etwas passiert, was auf der ganzen GG-Wanderung noch nicht vorgekommen ist. Ich habe mich hingelegt. Im Weg war ein Loch, in das ich getreten bin, während ich woanders hinschaute und dann habe ich mich auf den Knien wiedergefunden. Weitere Verletzungen konnten zum Glück vermieden werden, aber ich neige dazu, solche Vorkommnisse im größeren Kontext zu betrachten und zu deuten. Der Sturz passt dazu, dass ich mich in den vergangenen Tagen etwas wackelig fühlte. Angespannt, vielleicht überfordert? Ich vermute, ein Grund dafür hat mit dem Erwartungsdruck zu tun, den ich mir innerlich aufbaue. Ich will die GG-Wanderung zum anvisierten Termin zu Ende bringen, aber natürlich habe ich nicht alle Bedingungen, die dafür stimmen müssen, in der Hand. Das Wetter etwa. Oder die Gefahr zu stürzen und mich zu verletzen. Und und und. Außerdem gibt es in einer Ecke meines Geistes die seltsame Erwartung, so kurz vor Schluss müssten doch noch ganz besonders interessante Dinge passieren oder Gespräche gelingen, die das GG oder einzelne Artikel in ganz neuem Licht erscheinen lassen. Kurz gesagt kommt mir die dramatische Logik in die Quere, die im Theater oder im Konzert das Finale immer ganz besonders großartig inszeniert. Eine andere Ecke meines Bewusstseins weiß genau, dass ich hier eine Performance mache, die nach ganz anderen logischen Gesichtspunkten funktioniert. Doch es scheint mir nicht leicht zu fallen, die GG-Wanderung einfach ausklingen zu lassen - ohne herausragendes Finale.

Nach dem kleinen Schreck sind wir weiter gewandert und kurz nachdem wir den WDE erreicht hatten, sind wir schon falsch abgebogen. Nach ein paar Kilometern haben wir bemerkt, dass wir viel zu weit nördlich gelandet sind. Wir haben uns entschieden, nicht zurück zu gehen, sondern auf einem anderen Weg nach Arnsberg zu laufen, wo wir den WDE wiederzufinden hofften.
Wieder einmal hat mich/uns der unfreiwillige Umweg an eine Stelle geführt, die nach einer Rezitation rief. In Arnsberg gibt es ein Gebäude, das früher wahrscheinlich ein Feuerwehrhaus war und jetzt einen Saal für Veranstaltungen, Seminare usw. beherbergt. Vor dem Gebäude steht bzw. hängt eine Glocke, die uns pünktlich um zwölf die Ohren kräftig in Wallung brachte. An der Hauswand befindet sich ein langes Zitat von dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte, in dem es um Deutschland, die Deutschen und die Verantwortung geht.
Das Zitat lässt viel interpretativen Spielraum und Fichtes Ideen von der deutschen Nation sind ja eh fragwürdig. Jedenfalls dachte ich, in gut philosophischer Manier will ich Fichtes Ausführungen die Grundrechte des GG zu Seite stellen, sozusagen als starkes Argument, dass man bei der Rede über Deutschland nicht außer Acht lassen darf. Sonst passiert nämlich genau das, was Deutschland im 20. Jahrhundert in den Untergang getrieben hat.
Was die Bürger von Arnsberg wohl bewogen hat, dieses Zitat an die Wand zu schreiben?






Die erste und dann auch einzige Rezitation des Tages (1x) fand dort um 12.15 Uhr statt.




Danach sind wir wieder dem WDE gefolgt, der einige Steigungen für uns bereit hielt. Heute war der bislang wärmste und sonnigste Tag und wir sind ganz schön ins Schwitzen gekommen.
Der Wanderweg führt zur Zeit durch eine Gegend, in der die Ortsschilder zweisprachig sind, deutsch und sorbisch. Die sorbische Minderheit in der Lausitz hatte schon zu DDR-Zeiten einige Minderheitenrechte. Seit auch die Sorben mit dem GG leben, gilt für sie u.a. Artikel 3 Absatz 3, wonach niemand wegen seiner Abstammung oder Sprache benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
In Deutschland gibt es nicht viele alteingesessene Minderheiten mit eigener Sprache. Genau genommen sind es vier sogenannte autochthone Volksgruppen, neben den Sorben die Friesen, die Dänen und die Sinti und Roma.
Eine Pfarrerin in Großpostwitz erzählte, dass sich die protestantischen Sorben mit den Deutschen weitgehend vermischt haben, wogegen die katholischen noch immer sehr unter sich bleiben und ihre Identität pflegen. Das scheint nicht ganz ohne gegenseitige Ressentiments abzugehen. Unsere Vermieterin in Cosul, wohin wir von Großpostwitz wanderten, sprach mit einer leicht ironischen Herablassung von den Sorben in der Niederlausitz. Da gibt es z.B. den Begriff der "Propeller-Miezen" für die Frauen in der sorbischen Tracht, zu der eine große Haarschleife gehört...
Ob Sorben wohl immun sind gegen großdeutschen Nationalismus?

Da es in der Pension, in der wir unterkamen, nichts zu essen gab, hat uns die Hausherrin zu einem Restaurant in der Nähe gefahren. Das war sehr nett. Draußen auf dem vor dem Gasthof steht ein "Mord-Gedenkstein" für zwei Leute, die dort 1859 ausgeraubt und ermordet wurden. Ein Fall für das Strafgesetzbuch, nicht direkt für das GG, in dem trotzdem das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit schon in Artikel 2 genannt werden.
Als wir aus dem Restaurant kamen, stand ein Regenbogen am Horizont.

Fundstücke:


LandArt aus Reifen


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