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Donnerstag, 10. August 2017

Das Wetter: Abbruch und Rückreise, 10. August 2017

Uckerath - (Köln)

Am Morgen stellte sich deutlich heraus, dass die Wettervorhersage recht behalten sollte. Es regnete in Strömen und ohne Aussicht auf durchgreifende Änderung. Also habe ich die GG-Wanderung in Uckerath unterbrochen und bin nach Hause gefahren.
Auf der Rückfahrt mit Bus und Bahn hatte ich Kontakt zu einer Dame aus Uckerath, die auf dem Weg nach Köln "zum Einkaufen" war. Sie zeigte ein etwas ratloses und entsprechend vages Interesse an meiner Aktion. Sie fragte mich, was ich beruflich mache und inwiefern die GG-Wanderung damit etwas zu tun habe.
Die Karte mit den Infos, die ich ihr reichte, gab sie mir sehr höflich wieder zurück. Auf meine Frage, ob ihr ein geeigneter Platz für eine Rezitation in Uckerath oder Umgebung einfiel, hatte sie keine Antwort: "Mein Schwiegersohn wüsste bestimmt etwas!" Wir haben uns in Köln sehr freundlich voneinander verabschiedet und es tut mir leid, dass ich kein tiefer gehendes Gespräch mit ihr führen konnte.

Der Abbruch der Wanderung heute hat eine gewisse Schlüssigkeit, denn damit ist die Etappe am Rhein und rund um die konkreten historischen Erinnerungsorte zu Ende. Hinter dem Siebengebirge beginnt eine andere Geschichte.
Im Rückblick auf Bonn und Rhöndorf tauchen in mir zwei "Gefahren" auf, die das GG zu überdecken oder zu überwuchern drohen: Pathos und Ignoranz.
Das Pathos ist verbunden mit der Tendenz, die Vergangenheit zu idealisieren. Wie im Falle von Adenauer, zu dessen Amtszeit als Kanzler - bei all seinen großen Verdiensten wie, ganz vorne, die Versöhnung mit Frankreich! -  einige wichtige Grundrechte wenig Beachtung fanden. So etwa Artikel 2 und Art. 3. (Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und Gleichheit von Frau und Mann). Die 50er Jahre konnten atmosphärisch nicht an die Aufbruchszeit der 20er Jahre anknüpfen. Sie waren von der geistigen Enge her viel näher an den späten 30er Jahren des Naziregimes.
Ignoranz verkleidet sich gerne als gutbürgerlicher Wohlstand, der die Grundrechte des GG als Garant für die eigene Sicherheit und den eigenen Anspruch versteht, dass alles am besten so bleiben soll, wie es ist, oder noch besser: so wie ich es mir wünschen würde! Hier hat sich die bundesrepublikanische Bourgeoisie, deren Hauptstadt noch immer Bonn heißt, in den letzen 70 Jahren kaum geändert.

Mittwoch, 9. August 2017

Der zehnte Tag: 9. August 2017

Rhöndorf - Ölberg - Oberpleis - Uckerath

Als ich heute um zehn Uhr am Adenauerhaus in Rhöndorf ankam, erwarteten mich zwei Kölner Freunde als moralische Unterstützung. Vor dem Wohnhaus, in dem Adenauer die letzten 30 Jahre seines Lebens wohnte, steht jetzt ein ziemlich großes Gebäude. Dort befindet sich ein Museum zu Leben und politischem Werk,  das zum diesjährigen fünfzigsten Todestag des Altkanzlers erneuert und erweitert wurde.
In einem der Ausstellungsräume habe ich um 10.30 Uhr meine Rezitation gemacht, zwischendurch mit "Störungen" von Adenauers Stimme, die aus einem Lautsprecher immer dann ertönte, wenn man an einem Bildschirm vorbeiging, auf dem Adenauer bei Bundestagsreden zu sehen war.



In der Ausstellung fand sich die für uns völlig irrelevante Information, dass Adenauer während des ersten Weltkriegs die Sojawurst erfunden hat!
Wichtiger der Hinweis, dass er schon 1919 dafür plädierte, einen westdeutschen Staat unabhängig von Preußen zu schaffen. Das ist ihm 30 Jahre später unter ganz anderen politischen Umständen gelungen!
Danach ging es zum Café Profittlich und zu Kaffee und der zu Recht berühmten Sananischnitte.

Gespräch über die Diskrepanz zwischen den Grundrechten und der Realität, was uns einmal mehr zur Frage führte, um welche Art von Text es sich beim GG handelt. Meine momentane Lieblingsantwort lautet: um einen quasireligiösen Text, der als Grundlage für immer neue Interpretationen fungiert. Das GG entwirft ein Ethos, das von uns Bürgern immer wieder neu angeeignet werden muss.




Danach ging ich alleine ins Siebengebirge und auf den Ölberg.
Während der Wanderung ist mir eingefallen, dass mein Urgroßvater fast genau dieselben Lebensdaten hatte wie Adenauer: geb. 1876 und gestorben ein Jahr nach dem Kanzler 1968. Doch was für ein Unterschied im Leben. Mein Urgroßvater hatte wahrscheinich wenig Sympathien für die Demokratie und wäre mit Kaiser Wilhelm auch nach dem 1. Weltkrieg sehr zufrieden gewesen. Er war Tischler und Schreiner und hat nach einem Unfall, bei dem er von einem Wagen fiel, die letzten 30 Jahre seines Lebens mit (wahrscheinlich) einer Querschnittslähmung auf einem von ihm selbst gezimmerten Stuhl verbracht. Rollstühle gab es damals noch nicht auf Kassenrezept.
Ich kann mir aber vorstellen, dass er Adenauer gewählt hätte, wenn er zur Wahl hätte gehen können. (Keine Ahnung, ob es damals bereits die Möglichkeit der Briefwahl gab!)

Mit einigen Extrakurven bin ich abends in Uckerath gelandet.

Den Wanderweg der Deutschen Einheit habe ich erst kurz vor dem Ziel erreicht, nachdem ich in den vergangenen Tagen dauernd in mehr oder weniger großen Bögen um ihn herum geschlängelt bin.
















Fundstücke:
eingelassen in eine Mauer irgendwo am Wegesrand hinter Rhöndorf

Eine etwas merkwürdige Anrufung der hl. Maria, gefunden unterhalb des Friedhofes in Rhöndorf, wo im übrigen Adenauer begraben liegt.
 Ein ebenfalls etwas merkwürdiges Denkmal für die deutsche Einheit:





...die "Einheitsbäume", noch etwas unscheinbar.....

Dienstag, 8. August 2017

Der neunte Tag: 8. August 2017

Bonn - Bad Godesberg -  Königswinter - Bad Honnef

Gestern Abend hat sich in mir die Idee geformt, heute einen Abstecher nach Bonn zum Museum König zu machen. Dort hat nämlich der parlamentarische Rat getagt und das GG entworfen. Kurz nach 9h ging es los über den Venusberg hinunter Richtung Rhein.
Um 10.30h fand vor dem Eingang des Museums die erste, und wider Erwarten einzige Rezitation des Tages statt.




Dabei wurde wie schon gestern der Performance-Charakter der Aktion deutlich. Durch die Rezitation wird eine Situation kreiert, in der alle anderen Ereignisse, die gleichzeitig passieren, eine neue Bedeutung bekommen. Der Lärm des Verkehrs, der Teile des gesprochenen Textes verschluckt. Oder gestern die Gruppe tollender kleiner Kinder, die an mir vorbei liefen.
Im Museum König hat mir die Frau an der Tickettheke ein Faksimile der Liste der Mitglieder des parlamentarischen Rates gegeben, und eine Kopie der Unterschriften der Vorsitzenden unter dem GG. Außerdem die Fassung des GG, wie sie im Bundesgesetzblatt als Nr. 1 veröffentlicht wurde. (Diese Veröffentlichung ist für jedes Gesetz notwendig, um es in Kraft treten zu lassen.) Interessant zu sehen, was in der ersten Fassung der Grundrechte noch nicht stand!
Die Unterlagen waren offenbar bei einer anderen Veranstaltung übrig geblieben.



 Unter den Vätern des GG waren auch vier Mütter, die im Titel der Liste unterschlagen wurden.
Die aus NRW stammende und der SPD zugehörige Frederike Nadig schrieb zu ihrer Arbeit im Rat: "Im Parlamentarischen Rat ist die deutsche Frau zahlenmäßig viel zu gering vertreten. Das Grundgesetz muss aber den Willen der Staatsbürger, die überwiegend Frauen sind, widerspiegeln."
Ich muss zugeben, dass ich den Namen der Frauenrechtlerin Nadig noch nie zuvor gehört hatte. Neben anderem hat sie sich vehement für Aufnahme der Gleichberechtigung von Frauen und Männern ins Grundgesetz eingesetzt. Außerdem forderte sie schon damals "gleichen Lohn für gleiche Arbeit"!
mehr zu ihr findet man z.B. hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Friederike_Nadig



Danach ging es in Richtung Bad Godesberg. Auf dem Weg ein kurzer Halt und ein Kaffee im Haus der Geschichte. Im dortigen Informationszentrum habe ich die Information über meine GG-Wanderung hinterlegt.
Weiter über den Rhein nach Königswinter. Mittlerweile hatte es stark zu regnen begonnen und ich musste meine Pläne ändern: Statt zum Adenauerhaus bin ich zur Jugendherberge in Bad Honnef. Da habe ich dann auf besseres Wetter am nächsten Tag gehofft und meine Zeit u.a. damit verbracht, die Zeitung "Das Parlament" zu lesen. Schwerpunktthema dieser Ausgabe (7.8.2017) waren Ehe und Familie, also der Artikel 6 GG und die aktuellen Veränderungen in der Familienpolitik.
Der quasireligiöse Charakter des GG bzw. der Grundrechte zeigt sich an Art. 6 gerade besonders deutlich. Am Wesensgehalt dieses Artikels darf man nicht rütteln, aber zugleich kann sich die Bedeutung dessen, was da steht, sehr wandeln. Mit der Einführung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare wird die Idee der Ehe sehr viel weiter gefasst als die Verfasser des GG im Sinn haben konnten. (Damals stand Homosexualität noch unter Strafe!) Aber der besondere Schutz der Ehe bleibt dadurch unangetastet.
Übrigens gab es im "Parlament"  einen Autor, der das Ehegattensplitting mit dem Art. 6 und dem besonderen Schutz der Ehe begründet, weil im GG eben nicht nur die Familie (mit Kindern) geschützt ist, sondern auch die Ehe, ganz unabhängig davon, ob aus ihr Kinder hervorgehen oder nicht.

Fundstücke:
Brandt auf der Adenauerallee:
Eindrücke aus dem Haus der Geschichte:
Der Eingang zu einer Ausstellung über
des Deutschen liebstes Kind
(nein, nicht das Grundgesetz...):




Salonwagen nach Entnazifizierungsverfahren

Montag, 7. August 2017

Der achte Tag: 7. August 2017

Rheinbach - Buschhoven - Bonn

Bevor ich zu meiner Wanderung aufgebrochen bin, habe ich mein wöchentliches I-Ging geworfen, das mir für die Tage das Hexagramm mit dem Titel "Das Entgegenkommen" präsentiert hat. Schon an sich sehr passend. Außerdem hat es mich darauf aufmerksam gemacht, dass ich zwar mit der Welt in Kontakt gehen soll, aber ohne mich von ihr vereinnahmen zu lassen.

Heute ging es wie geplant pünktlich um 12h los mit dem zweiten Teil der GG-WANDERUNG und mit einer zweifachen Rezitation der Grundrechte vor dem Hexenturm in Rheinbach. Vor der Rezitation hat sich ein älterer Mann interessiert über meine Infofolie, die ich immer auslege, gebeugt. Als ich ihm eine Karte in die Hand geben wollte, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, hat er sich schweigend verzogen.

Aus den Zuhörern der Rezitation gab es einige Reaktionen: Eine Frau meinte, sie habe ein Gefühl der Erhabenheit in sich gespürt, besonders in der Wiederholung. Das kann ich sehr gut nachvollziehen. Auch mir geht es manchmal so, dass der Text in der Konfrontation mit einer alltäglichen Szene eine Art Würde gewinnt. Ein anderer Zuhörer meinte, er habe beim Zuhören erst die starken Parallelen zur amerikanischen Bill of Rights erkannt. Daraus entsponn sich ein Gespräch über die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen beiden Texten. Mir sind in erster Linie zwei Unterschiede aufgegangen. Zum einen beginnt die amerikanische Verfassung mit "we, the people"; das ist eine Formulierung, die unmöglich hätte am Anfang einer deutschen Verfassung nach dem Ende des 2. Weltkrieges stehen können! Und im Grundgesetz ist nicht die Rede vom "pursuit of happiness" dem Streben nach Glück, das in der amerikanischen Version so wichtig ist. Das Fehlen dieses Themas hat etwas sehr deutsches, ja. Bei beiden Unterschieden bin ich aber auf der Seite der deutschen Verfassung. Nicht das Volk, sondern die Würde des Menschen eröffnet die Liste der Grundrechte passend. Und Glück? Was ist das? Was hat das in der Verfassung zu suchen? Große Fragen, die Stoff für viele Gespräche bieten. 
Außerdem gab es als Reaktion auf die Rezitation, wie schon ab und zu vorher, den Hinweis, dass das GG zwar gute und wichtige Rechte formuliert, die Realität in Deutschland aber anders aussieht. Da komme ich später nochmal drauf zurück.

Danach sind wir mit einer kleinen Wandergruppe von vier Leuten in Richtung Bonn gestartet. Nicht ganz auf der von mir vorgesehenen Strecke, sondern etwas nördlicher. Hat auch etwas länger gedauert. Mit uns gegangen ist eine Frau aus dem Ruhrgebiet, deren Familiengeschichte illustriert, wie lang der Weg der Grundrechte des GG in die Köpfe und Herzen der Menschen ist. Ihr Vater hat als Soldat am Ende des 2. Weltkrieges das einzige Vernünftige getan und ist desertiert. Art.4 Abs.3: "Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden." Das war zur Nazizeit natürlich anders, aber auch in der jungen Bundesrepublik galt Desertion als eine Art Verrat. Und damit war es mit der Karriere in Deutschland nichts. Die Rehabilitierung der deutschen Deserteure ist noch immer nicht abgeschlossen. Die Ansprüche, die das GG an die Bürger*innen stellt, müssen z.T. schwer und langwierig erarbeitet werden. 


Als wir unterhalb von Alfter nach Bonn kamen, bot sich eine Frau von sich aus an, uns zu sagen, wie wir weiter und zum Bahnhof nach Duisdorf kommen. Sie ging ein paar Schritte mit uns, erzählte, dass sie beim Spazierengehen gut lernen könne, im Moment Italienisch. Als ich meine GG-Wanderung erwähnt hatte, fiel ihr zuerst ein, dass sie als junge Frau mal ein Gedicht über Juristen geschrieben habe, dann kam sie auf den napoleonischen Code civil. Am Ende gab sie mir sehr energisch die Hand und schien ganz beeindruckt von meinem Vorhaben. 

Fundstücke:

ein ordentlicher Apfelbaumhain...


und ein "deutsches" Fenstergitter:

In einem Leserbrief in der Wochenzeitung "Der Freitag" vom 3. August glaubt ein Leser, sich auf den Artikel 20 und das dort festgeschriebene Widerstandsrecht berufen zu können. "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht auf Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." (Art.20, Abs.4) Der Leserbriefschreiber betont, dass es sich bei dem Widerstand gegen die Aushöhlung unseres Rechtsstaates - für die man ja tatsächlich Indizien finden kann - um friedlichen Protest handeln muss! Der aber werde immer mehr kriminalisiert. 
Für uns ist in dem Zusammenhang die Frage interessant, wer denn überhaupt feststellen kann, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gefahr ist. Jeder einzelne Bürger? Das Bundesverfassungsgericht? Die besorgniserregenden Entwicklungen in anderen Ländern, etwa Polen, Ungarn, Türkei, zeigen, dass die Ordnung besonders dann gefährdet ist, wenn das Verfassungsgericht eines Landes seine Unabhängigkeit verliert und geschwächt wird.....