Den Text des Interviews können Sie/kannst du unter dem folgenden Link finden:
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Falls es damit irgendwelche Schwierigkeiten gibt, schicke ich das pdf auch gerne per E-Mail zu.
Ich freue mich auf Kommentare zu dem Interview!
Sie können das Interview auch hier lesen, allerdings ohne die ganz schöne grafische Aufarbeitung des Zeitungsartikels. Die Fragen stellte der FR-Redakteur Stephan Hebel:
Herr Peters, Sie haben
sich für den „Wanderweg zur deutschen Einheit“ entschieden. War die Überwindung
der innerdeutschen Grenze vor 30 Jahren Ihr wichtigstes Thema?
Nein. Als ich die ehemalige Grenze während der Wanderung zum
ersten Mal übertreten habe, habe ich es gar nicht gemerkt. In meiner Erfahrung
war diese Grenze viel weniger wichtig, als ich gedacht hätte.
Inwiefern?
Die Art und Weise, in der die Leute auf mich und meine
Wanderung reagiert haben, war sowohl im Westen als auch im Osten gleich verteilt.
Ich habe auf beiden Seiten alle Spielarten von Reaktionen erfahren.
Unterscheiden sich
diese Reaktionen entlang anderer Grenzen – landsmannschaftlich, sozial,
geschlechtlich?
Schwierige Frage. Wahrscheinlich habe ich mehr Frauen als
Männer getroffen, die neugierig reagiert haben. Wahrscheinlich haben Frauen
einfach mehr Mut, sind auch neugieriger.
Manchmal ist eine Frau bei meiner Rezitation stehengeblieben, während
der Mann schon weitergegangen war und „Jetzt komm schon“ rief.
In Ihrem Blog sprechen
Sie von regionalen Unterschieden im Sozialverhalten. Was meinen Sie damit?
Zum ersten Mal habe ich das ganz deutlich in Thüringen
gemerkt. Dort gibt es doch sehr viel Zurückhaltung, wenn es um Menschen geht,
die normalerweise nicht dort sind. Zumindest nach meiner Erfahrung ist das so.
Ich kenne es allerdings auch aus der Eifel. Ich glaube, das hat mit bestimmten
Landschaften zu tun. Im Rheinland, wo ich schon seit über 30 Jahren lebe, ist
es viel leichter, Kontakt aufzunehmen. Ich bin dann von Thüringen durch
Oberfranken ins Erzgebirge gelaufen, und auch dort war es wieder viel leichter.
Was hat das mit der
Landschaft zu tun?
Meine erste Vermutung war, dass die Menschen in sehr
ländlichen Gebieten eher zurückhaltend
sind. Aber so ein Gebiet ist das Erzgebirge auch, und die Menschen waren da so
offen, wie ich es niemals vermutet hätte. Das könnte damit zu tun haben, dass
es im Erzgebirge, wie der Name ja schon sagt, früher Bergbau gab. Vielleicht
ist daraus eine andere Form von Kontakt zu Menschen entstanden, die zum
Arbeiten in die Gegend kamen.
A propos Kontakt:
Lassen Sie uns über die Grenze zwischen Ihnen und Ihren potenziellen Zuhörern
reden. Hatten Sie das Gefühl, sie überwinden zu können, wenn Sie sich auf einen
Marktplatz stellten und die Grundrechte rezitierten? Und war das überhaupt Ihr
Ziel?
Nicht das Hauptziel, ich war nicht als Missionar in Sachen
Grundgesetz unterwegs. Aber es ging mir schon auch darum, über die Rezitation
in Kontakt mit Menschen zu kommen, zumindest die Grenze zwischen ihnen und mir
etwas durchlässiger zu machen.
Ist das gelungen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe bei der Rezitation
immer zwei Plakate ausgelegt, auf denen kurz beschrieben war, was ich da mache.
In den ersten Tagen hatte ich die relativ nah bei mir liegen. Aber dann wurde
mir klar: Die Plakate liegen sozusagen noch in meinem Revier, da kommt keiner
hinein. Es ist eine unsichtbare Grenze, die man nicht einfach so überschreitet.
Dann habe ich die Infos sehr viel weiter weg von mir ausgelegt, damit die
Menschen das Gefühl haben, erst einmal ungestört schauen zu können, was sich da
abspielt. Und zwar bevor sie dann womöglich die Grenze überschreiten und mir
näher kommen, um konzentriert zuzuhören.
Können Sie diese
Distanz in Metern ausdrücken?
Auf jeden Fall sind es mehr als zwei
oder drei Meter. Das hängt natürlich auch von der Örtlichkeit ab. Manchmal gab
es eine kleine Erhöhung, vielleicht eine Treppenstufe, auf die ich mich
stellte, das schafft auch Distanz. Aber im freien Gelände waren es eher fünf
Meter.
Gilt das unabhängig
von der Region, in der Sie sich gerade bewegten?
Ja, das lässt sich verallgemeinern. Aber es gab auch immer
wieder Ausnahmen. Menschen, die diese Grenze ganz leicht überschritten und
vielleicht gar nicht wahrgenommen haben. Da ist dann die Neugierde wohl größer
als die Scheu, die solche Grenzen ja erst entstehen lässt.
Hat es nicht auch Sie
gestört, wenn die Menschen Ihnen zu nahe gekommen sind?
Ja, das ist ein- oder zweimal passiert. Aber das waren
Leute, die gar nicht mehr zugehört haben, sondern anfingen, selber etwas zu
erzählen, während ich noch am Rezitieren war. So etwas wie „Aha, das
Grundgesetz, ich hab da auch eine Geschichte zu erzählen“.
Das ist doch schön,
oder?
Ja, ich wollte ja in Kontakt kommen. Aber ich musste mich
halt darauf einlassen, die Rezitation erst mal aufzugeben.
Es haben Ihnen ja
manchmal nur sehr wenige Menschen zugehört. Beim Lesen Ihres Blogs hatte ich
manchmal den Eindruck, dass Sie sich selber gefragt haben, ob Sie darüber
enttäuscht sein müssen oder nicht.
Ja, da habe ich zwischendurch schon mit mir gekämpft. Im
Prinzip ging es mir nicht darum, eine besonders große Menge an Menschen zu
erreichen. Ich hatte mir für die Performance ja Regeln gegeben, und dazu
gehörte ganz zentral die Frage: Wie funktioniert der Kontakt zwischen mir und
dem Text? Wie zeigen sich mir die Grundrechte, wenn ich sie immer wieder
rezitiere? Zweitens ging es um den
Kontakt zu den Orten, durch die ich wandere, und das Wandern selbst. Und dann
schließlich um den Kontakt zu den Menschen.
Die Zahl der
Zuhörenden spielte also keine Rolle?
Nein. Es gab gar keinen Grund zu hoffen, es müssten ganz
viele sein. Aber immer wieder irgendwo zu stehen, wo viele Leute vorbeilaufen
und niemand anhält, um zuzuhören – das ist natürlich trotzdem eine herausfordernde
Erfahrung, mit der ich schon zu kämpfen hatte.
Was haben diese
Begegnungen mit dem Text, den Orten und den Menschen bei Ihnen bewirkt? Welche
Grenzen haben Sie für sich selbst überwunden?
Mir hat sich Deutschland ganz neu erschlossen. Ich musste dafür allerdings zunächst eine
ganz andere Grenze überwinden: Ich wandere zwar gerne, lebe aber auch sehr gern
in einer Großstadt. Die Wanderung hat mich fast nur durch das geführt, was man
deutsche Provinz nennt, von größeren Städten wie Aachen am Anfang oder Görlitz
am Ende abgesehen. Das war deshalb fast so etwas wie eine Grenzerfahrung, weil Kleinstadt eine Lebensform ist, die meiner Art nicht unbedingt entspricht. Andererseits ging es mir in der Performance ja nicht darum, meine eigene Lebensform bestätigt zu sehen.
Sie haben in Ihrem
Blog einmal geschrieben, das Ganze sei „keine politische Aktion“. An einem
anderen Tag heißt es dann aber, das Wandern sei angenehm frei vom
„spätkapitalistischen Druck von Effizienz und Erfolg“. Das ist ja nicht gerade
unpolitisch.
Da haben Sie recht. Aber diese Bemerkung stand gar nicht direkt mit den
Rezitationen in Verbindung, sondern es ging nach meiner Erinnerung um diese
Walking-Stöcke, die manche Leute benutzen und die das Wandern gleich viel
effizienter aussehen lassen, als wenn man wie ich mit einem Holzstock durch die
Gegend läuft.
Also doch unpolitisch?
Obwohl ich dem Text des Grundgesetzes sehr nahe stehe und
ihn nicht ohne Grund ausgewählt habe, war für mich wichtig, dass ich das Ganze nicht als
politische Werbeaktion mache, sondern als Kunstaktion. Aber natürlich war es
eine Kunstaktion im politischen Raum und mit politischem Material. Es war nicht
so, dass die Grenze zwischen Kunst und Politik, wenn es die in der Form
überhaupt gibt, ganz scharf gewesen wäre. Da gab es natürlich Übergänge, aber
für mich war eben wichtig, dass ich von meinem Selbstverständnis her nicht auf
direkte Resonanz setze und deshalb nicht enttäuscht sein muss, wenn sie mal
ausbleibt.
Was haben Sie selbst
über das Grundgesetz gelernt?
Ich habe es auf jeden Fall neu kennengelernt. Für mich war
es vor allem eine sehr starke Erfahrung,
die Grundrechte, die ich rezitiert habe, mit den Erlebnissen und
Begegnungen bei der Wanderung in Verbindung zu bringen. Mir ist dabei viel
deutlicher geworden, wie sehr diese Grundrechte auch eine Grundlage darstellen
für unsere Art des Zusammenlebens. Das war mir vorher vielleicht rational
irgendwie klar. Aber ich habe es jetzt auf einer sehr viel tieferen Ebene
erfahren, und das war sehr angenehm.
Sie haben also das
Gefühl, dass Deutschland, so wie Sie es erwandert haben, gern auf dem Boden
dieser Grundrechte lebt?
Wenn ich mich an die intensiven Gespräche erinnere, die ich
hatte, würde ich sagen: Ja. Da gibt es, wiederum unabhängig von Ost oder West,
sehr viel Wertschätzung, auch bei Menschen, die das Grundgesetz wahrscheinlich
nie ganz gelesen oder gar – wie ich – zumindest teilweise auswendig gelernt
haben. Es ist so etwas wie eine Idee von „Darauf können wir uns verlassen“ zu
spüren.
Und das in diesen
Zeiten?
Sicher leben wir in einer Zeit, in der diese Idee nicht mehr
für alle gilt, vielleicht zum ersten Mal in der Bundesrepublik. Aber mit
solchen Menschen bin ich nicht ins Gespräch gekommen.
Wenn Sie nicht gerade
wandern, arbeiten Sie unter anderem als Stimmkünstler, Sie erwähnen dabei den
Begriff „extended voice“. Auch das klingt nach Grenzüberschreitung.
Ja. Es geht darum, dass Stimmkünstler alle Möglichkeiten
künstlerisch einzusetzen, die die menschliche Stimme bietet. Also nicht nur
das, was man Sprechen oder Gesang nennen würde.
Also so etwas wie die
Falsett-Stimme?
Mit Falsett kann man sehr schön singen! Ich meine eher sehr raue Klänge, sehr laute
oder sehr leise Töne, Klänge, die sehr nah am Atem sind. Das habe ich bei der
Rezitation der Grundrechte nicht eingesetzt. Aber ich habe in den beiden Wintern
zwischen den Etappen eine dreistündige Performance gemacht, in der es vorkam.
Das ist ein wichtiger Teil meiner künstlerischen Arbeit. Aber ich arbeite auch
viel mit gesprochenem Text, unter anderem als Rundfunksprecher oder mit
Lesungen und Rezitationen.
Was macht das so
attraktiv für Sie?
Der Zusammenhang zwischen der Bedeutung und der Wirkung
eines Textes, der im Raum laut zu hören ist, hat mich schon immer interessiert.
Das hat übrigens auch etwas mit Grenzüberschreitung zu tun: Als Zuhörender
mache ich eine ganz andere Erfahrung, als wenn ich den Text lese: eine andere
Zeiterfahrung, andere innere Bilder, die sich möglicherweise auftun.
Auch je nachdem, wie
er vorgetragen wird?
Natürlich hat es auch mit der Stimme zu tun. Höre ich ihr
gerne zu oder nicht? Das ist geradezu entscheidend. Interessant übrigens: Wir
machen es ja hier gerade umgekehrt, das gesprochene Wort wird zum Text. Ich bin
mal sehr gespannt, wie das dann aussieht.
Nun sind Sie
freischaffend tätig. Stößt man da bei 63 Wandertagen mit Anreisen,
Übernachtungen und so weiter nicht auch an eine ganz andere Grenze, nämlich die
finanzielle?
Ja, klar. Ich habe mich bewusst entschieden, für diese
Aktion kein Fördergeld zu beantragen, anders als bei anderen Projekten. Sonst
wäre die Grundgesetz-Wanderung sofort in einem ganz anderen Kontext verstanden
worden. Ich habe aber zu kleinen Spendenaktionen aufgerufen und hier und da
auch Bücher und CDs von mir verkauft. Damit habe ich eine gewisse Unterstützung
bekommen.
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