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Donnerstag, 11. April 2019

Der 50. Tag: 11. April 2019

Seiffen - Teichhaus - Neuhermsdorf

Am Morgen bin ich mit der inneren Sorge losgewandert, heute womöglich keinen Ort für eine Rezitation zu finden. Der Blick auf die Wanderkarte ließ erwarten, dass ich keine größeren Ortschaften passieren würde. Die einzige markante Stelle schien ein Stausee zu sein, den ich nach ca. zwei Stunden Wanderung erreichen würde.
Genau so kam es.
Wieder um kurz vor 9.00h bin ich losgestiefelt, diesmal mit Handschuhen, denn es hatte gefroren über Nacht.
Im ersten Teil führte der Weg auf gut 800 Metern über einen Höhenzug des Erzgebirges, an dem das Waldsterben in den siebziger und achtziger Jahren besonders schlimm war. Eine der leichten Erhöhungen, die hier Hübel (=Hügel) heißen, ist seit einiger Zeit nach dem Förster Kluge benannt, der bis 1990 für die Gegend zuständig war. Nebenbei fragt man sich bei dieser Jahreszahl sofort, aus welchem Grund er nach der Wiedervereinigung nicht mehr zuständig war. Er hat sich jedenfalls mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die endgültige Zerstörung des Waldes gestemmt. Die Ursache für das Waldsterben auf der fast unglaublichen Zahl von 30000 ha war die Schwerindustrie auf tschechischer und deutscher Seite, deren Abgase ungefiltern die Luft auf beiden Seiten verpestete. Förster Kluge pflanzte mit tatkräftiger Unterstützung der einheimischen Bevölkerung, die am Wochenende mitmachte, verschiedene Baumarten, von denen er annahm, dass sie zumindest als Übergangsgewächse besser gegen den Rauch gewappnet seien als der Fichtenhochwald. Buchen gibt es im Erzgebirge eh viele, dazu kamen jetzt Lerchen, Birken, Douglasien usw. Das Ergebnis ist heute noch zu sehen. Die Erzgebirgler scheinen das Andenken ihrer Förster bewusst in Ehren zu halten. Gestern kam ich an einem Gedenkstein für einen Förster des 19. Jahrhunderts vorbei, der schon damals für den gefährdeten Buchenbestand kämpfte.
Heute hat der Wald noch andere Probleme. Hier haben Schnee und Sturm im Winter gewütet und es sieht teilweise ganz schön wild aus.

Ein Grundrecht auf saubere Umwelt gibt es im GG nicht. Erst mit Art. 20a, der nicht mehr zu den Grundrechten zählt, ist nachträglich ein Recht auf intakte Lebensgrundlagen eingeführt worden. Doch dieses Recht kann anders als die Grundrechte in Art. 1 bis 19 nicht gerichtlich eingeklagt werden. Dann sähe die ökologische Situation in Deutschland wohl anders aus.



Übrigens kann Art. 20, den ich ja in meine Rezitationen integriere und in dem die Staatsform der Bundesrepublik eben als demokratische und soziale Republik festgeschrieben ist, ebenso wie die Grundrechte nicht per Mehrheitsbeschluss des Bundestages und auch auf sonst keinem Weg verändert werden. Das ist eine wichtige Lehre aus Weimar. Ein Ermächtigungsgesetz, wie jenes, das Hitler ganz legal den Weg in die Diktatur ebnete, wäre heute unmöglich, weil es gegen das GG verstoßen würde.

In Ermangelung äußerer Anregungen für eine Rezitation habe ich auf dem ersten Teilstück der Wanderung die Grundrechte mal wieder vor mich hin rezitiert. Aufgefallen ist mir diesmal, dass der Begriff der Gemeinschaft in den Grundrechten zweimal vorkommt. Vor ein paar Tagen hatte ich schon einige Überlegungen zum Thema Gemeinschaft versus Gesellschaft, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine große Rolle spielte, notiert. Jetzt habe ich bemerkt, dass das Wort Gemeinschaft im Grundrechtsartikel 6 gleich zweimal verwendet wird. Art. 6 behandelt die Grundrechte in Ehe und Familie. Dass gerade dort von Gemeinschaft die Rede ist, passt sehr gut zu der erwähnten Debatte vor hundert Jahren.
Ehe und Familie stellen soziale Vereinigungen dar, die nicht auf Gesellschaftsverträgen zur Absicherung und Wahrung gegenseitiger Interessen basieren, sondern sie kommen auf andere Weise zustande. Man sagt zwar, die Familie sei die Keimzelle der Gesellschaft, aber wie auch immer man zu dieser Idee steht, die Familie selbst ist keine gesellschaftliche Struktur, denn sie basiert nicht auf Verträgen, sondern auf Liebe und auf natürlichen Beziehungen - etwa zu den Kindern. Spielarten dieser Grundstruktur lasse ich hier außer Acht.
Diese im weiten Sinn "organischen" Strukturen der Familie sind ein Charakteristikum, das nach Ansicht der entsprechenden Apologeten jeder Gemeinschaft zukommt. Das ist ein komplexes Thema. Mich interessiert hier nur, wie das Wort Gemeinschaft in diesem Zusammenhang in Artikel 6 GG verwendet wird.
In Absatz 2 wird betont, dass "Pflege und Erziehung der Kinder (..) das natürliche Recht der Eltern" und zugleich deren Pflicht seien. Und dann heißt es: "Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft".
Was soll das sein, eine staatliche Gemeinschaft? Wer oder was vergemeinschaftet sich da? Warum steht da nicht einfach: ...wacht der Staat?
In Absatz 4 taucht die Gemeinschaft nochmal auf: "Jede Mutter hat Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft". Über die Frage, warum Väter diesen Anspruch nicht besitzen und was eigentlich mit den Kinderrechten ist, habe ich schon an anderer Stelle was gesagt. Doch welche Gemeinschaft ist hier gemeint, die Schutz und Fürsorge gewähren soll? Die staatliche Gemeinschaft? Die Nachbarschaft, sofern sie eine Gemeinschaft bildet? Die kommunalen Behörden?
Ich schreibe diese Fragen im übrigen nicht auf, um den Artikel oder das GG zu kritisieren. Ich glaube, es ist eine Stärke der Grundrechte, dass sie nicht wasserdicht formuliert sind und stattdessen einen gewissen Spielraum anbieten, um die Grundrechte sachte an die sich wandelnden gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Umstände anzugleichen.

Am frühen Mittag bin ich an der Rauschenbach -Talsperre angekommen und habe dort die
1. Rezitation des Tages um 11.30 h (1x)
gemacht, die auch die einzige bleiben sollte.


 (schwarz rot gold)


Die Rezitation fand in einem kleinen Bushäuschen statt, weil ich darin von dem immer noch ziemlich kalten Wind einigermaßen geschützt war. Und Zuhörerende waren eh nicht zu erwarten.
Es gibt keine Notwendigkeit, die Rezitation an diesem speziellen Ort eigens zu begründen, aber wenn man eine Verbindung zwischen Talsperre und GG finden möchte, hätte ich folgenden Vorschlag:  Die Talsperre dient der Trinkwasserversorgung und damit der Gewährung und Sicherung eines Grundbedürfnisses der Menschen. Grundbedürfnisse sind gewissermaßen die älteren Geschwister der Grundrechte. Das Recht auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 GG bedeutet auch, dass die Menschen im Geltungsbereich des GG keine Sorgen um die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse haben müssen.


Von der Talsperre aus ging der Weg weiter an der deutsch-tschechischen Grenze entlang durch den Wald. Das letzte Stück des heutigen Weges verlief dann auf einer ehemaligen Bahntrasse zu einem Bahnhof in Neuhermsdorf, in dem heute ein Hotel betrieben wird, wo ich für die Nacht untergekommen bin. Das ist eines der Hotels, wie ich sie auf der GG-Wanderung besonders schätzen gelernt habe, weil es noch nicht, wie modernere Bauten, durch und durchfunktionalisiert ist. Die Zimmer strahlen noch nicht aus, dass jeder Quadratmeter einem durchdachten Konzept folgt. Das bedeutet nicht zuletzt, dass die Zimmer meistens größer sind als sie unbedingt sein müssten. Großzügigkeit statt Funktionalität. Im Jubiläumsjahr von Bauhaus vielleicht nicht die Losung des Tages....

Fundstücke:

Straßenschildkreativität
                                                            Tassenzaun

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