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Mittwoch, 10. April 2019

Der 49. Tag: 10. April 2019

Zöblitz - Ansprung - Olbershau - Seiffen

Meine Bemerkung von gestern mit dem Winter, der im Erzgebirge noch nicht zu Ende ist, hat sich heute Morgen bestätigt. Als ich um kurz vor 9.00 h aus dem Hotel trat, war es ganz schön kalt. Ich war froh meine Merino-Unterwäsche und die neue Merinojacke, die ich mir zum Glück vor Beginn dieser Etappe zugelegt habe, zu tragen.
Die Wanderung führte mich zuerst nach Ansprung, einem Dorf, das offenkundig nicht auf den Tourismus als Einnahmequelle setzt und dadurch bei mir einen irgendwie ehrlichen Eindruck hinterlassen hat. Außerdem sieht das Dorf in meinen Augen ganz ähnlich aus wie Ortschaften, die ich aus der Eifel kenne. Sehr groß scheinen die Unterschiede auf dem Land zwischen Ost und West nicht zu sein.
Ein Unterschied besteht allerdings in Ausmaß und Masse der österlichen Dekoration, die man hier in den Vorgärten und Fenstern findet. Praktisch an jedem Strauch hängen Unmengen von farbigen Ostereiern an Fäden und es gibt ganze Rudel von geschnitzten Hasen. Das sind Hinweise auf die erzgebirgische Volkskunst, auf die ich später noch einmal zu sprechen komme.
Das Überraschendste an Ansprung war aber eine unscheinbare metallene Plakette, die an einer ziemlich großen und viel befahrenen Kreuzung an einer Hauswand hängt. Damit wird eines "Todesmarsches der KZ - Häftlinge der Lager Neu - Stassfurt gedacht".


Der größte Teil des Textes auf der Tafel ist auf französisch, denn auf diesem Todesmarsch wurden offensichtlich die französischen Häftlinge von der SS ermordet - kurz vor Ende des Krieges im April/Mai 1945.
Das KZ Neu - Stassfurt war eine Außenstelle des KZ Buchenwald, in dem vorwiegend französische Gefangene Flugzeugteile produzierten. Da hing diese Tafel.

Ein merkwürdiger Moment. Rundherum rauscht (mehr oder weniger) der Verkehr und ich stehe mitten im Erzgebirge vor einer größtenteils auf französisch verfassten Gedenkplakette.












Grund genug, dort die
1. Rezitation des Tages um 9.50 h (1x)
zu machen, während der die Autos natürlich weiter fuhren und mich nur der ein oder andere Blick eines Fahrers oder einer Fahrerin traf, die sich wohl fragten, was ich da mache.



Dann ging es weiter durch Wald und Flur, wobei heute wie in den vergangenen Tagen auffällig viele umgestürzte Bäume über dem Weg lagen, die durch Sturm und Schneebruch umgefallen und abgebrochen sind, wie ich später erfuhr.
In Olbernhau angekommen bin ich zuerst zum Tourist Office, um mir eine Wanderkarte für das Osterzgebirge zu besorgen, in das ich morgen plane einzutreten. Dann bin ich eine Weile durch den Ort geirrt, auf der Suche nach einem Platz für eine Rezitation. Gefunden habe ich ihn vor einer 200jährigen Eiche, die im Jahr 1818 von den Einwohnern Olbernhaus zum 50. Jahrestag der Regentschaft von König Friedrich August I, "dem Gerechten" gepflanzt wurde. Friedrich August war seit 1763 (als 13jähriger) Kurfürst und ab 1806 König von Sachsen. Wieso im Jahr 1818 das 50jahrige Jubiläum gefeiert wurde, habe ich nicht herausfinden können. 

Bemerkenswert ist für unser Thema und die Auseinandersetzung mit dem GG, dass die Bürger von Olbernhau zu jener Zeit dem Regenten die Gerechtigkeit wie einen Charakterzug zusprachen. Zu der Zeit war die französische Revolution schon fast 30 Jahre alt und die Idee, Gerechtigkeit als ein Recht zu verstehen, das den Bürgern juristisch und politisch so gut es geht zugesichert werden sollte, war schon in der Welt. Friedrich August hat zeitweise in den Napoleonischen Kriegen sogar auf Seiten der Franzosen gekämpft. Die Zeiten, in der Regenten als gerecht oder ungerecht bezeichnet wurden, neigte sich jedenfalls schon dem Ende zu und die Regentschaft des Rechts in Form von Gesetzen, die für jeden gelten, setzte sich allmählich durch, wenn auch nicht immer und überall, so doch als eine prototypische Regierungsform, an der alle Regenten und Regierungen gemessen werden.




Vor diesem 200 Jahre alten Baum habe ich
um 12.10 Uhr eine Rezitation (1x) gemacht,
ohne auf nennenswerte Resonanz zu stoßen. 



Danach ging es weiter nach Seiffen, noch ein paar Mal die Berge hoch und runter. Dort eingetroffen war ich zunächst erstaunt, wie ruhig der Ort wirkt. Anders als in Zöblitz und Olbernhau gibt es in Seiffen keinen starken Durchgangsverkehr - oder lag es an der Tageszeit?

Mit war schon vorher aufgefallen, dass die Erzgebirgler einen Hang zur Dekoration besitzen. Seiffen scheint das Epizentrum dieser Tendenz zu sein. Praktisch jede Luke und jedes Fenster stehen voll mit Schwibbögen, kreisenden Pyramiden und geschnitzen oder gedrechselten Holzfiguren in den verschiedensten Deko-kompatiblen Formen. Die kleine Stadt quillt geradezu über mit Holzspielzeug, Osterdekoration und Nußknackern. Das hat mich überfordert, obwohl hier im Prinzip ja nur Art. 2 GG, die freie Entfaltung der Persönlichkeit, mit Verve, Ausdauer und Können in die Tat umgesetzt wird. Außerdem sagt doch Art. 5, dass Kunst (inklusive Kunsthandwerk und "Volkskunst" muss man hier hinzufügen!) frei ist, auch frei Kitsch zu produzieren - übrigens ein Begriff der nicht viel älter ist als der Jubiläumsbaum in Olbernhau.
Ich habe mir die Freiheit genommen, noch zwei Kilometer weiter zu wandern und in einem Hotel auf der Anhöhe Unterkunft zu suchen. Hier stehen zwar auch Schwibbögen in den Fenstern, aber ansonsten sieht man aus den selbigen blickend die Hügel des Erzgebirges, nur mit dem Licht der untergehenden Sonne dekoriert.

Fundstücke:
                                                      Für das Erzgebirge eher untypische Tierfiguren



















Für das Erzgebirge eher typische Tierfiguren

1 Kommentar:

  1. Lieber Herr Peters,

    ich möchte hier nicht beckmesserisch auftreten, aber das Örtchen im sehr schönen Erzgebirge heißt " Olbernhau ". Eine Ex - Kollege meiner Frau wohnt dort. Von daher ist mir der Name geläufig.

    Schöne, für die Region typische Bilder.
    Politisch betrachtet, sind die Erzgebirgler leider keine Vorbilder.

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