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Donnerstag, 16. Mai 2019

Der 56. Tag: 16. Mai 2019

Pfaffendorf - Königstein - Hohnstein

Nach einer schwierigen Nacht haben wir uns kurz nach neun Uhr wieder auf den Weg gemacht. Beim Auschecken sah ich an der Wand des Büros ein Jura-Diplom, das offenbar zu der jungen Frau gehörte, die meine Rechnung fertig machte. Als Juristin, sagte ich zu ihr, könne sie doch vielleicht Interesse an meiner Aktion haben. Ich habe ihr eine Karte von der GG-Wanderung gegeben und sie meinte, da hätte ich mir ja eine große Aufgabe gestellt und ich wäre mit einem guten Auftrag unterwegs.
Als wir losgingen, war das Wetter wie gestern: kalt und neblig. Zum Glück regnete es nicht. Wegen der Trotzreaktionen unserer Körper auf die gestrige lange Regenwanderung habe wir uns vorgenommen, es heute etwas lockerer anzugehen. Wir sind langsam nach Königstein an die Elbe gegangen und dort zunächst zur Tourist Info gelaufen. Ich habe eine neue Wanderkarte erstanden. Hilfe bei der Suche nach einer Unterkunft in Hohnstein konnten uns die Mitarbeiterinnen dort nur sehr eingeschränkt geben. Ein Ort für eine Rezitation hat sich nicht auf Anhieb angeboten und so sind wir erstmal in das Kaffeehaus gegangen, um die nächsten Schritte bei einem Kaffee zu planen. Dabei half uns die sehr nette Chefin des Hauses, die uns nicht nur freundlich begrüßte, sondern ein Gespräch begann, das auch von ihrer Seite mit echter Neugierde geführt wurde. Wir kamen bald auf die GG-Wanderung zu sprechen und sie reagierte fast begeistert auf die Aktion und meinte, sie würde sich auf jeden Fall den Blog ansehen.
Dann erzählte sie, dass sie nach der Wende für 10 Jahre ins Rheinland gegangen ist, weil "hier im Osten alles zusammenbrach". Eine eingesessene Bäckerei hatte keine Chancen mehr, weil alle nur noch das Junk-Food aus dem Westen kaufen wollten. Sie ging in den Westen, kam nach zehn Jahren zurück und machte sich selbständig.
Sie hat uns empfohlen, auf die Festung Königstein zu fahren, weil das ein Muss für den Besuch der Sächsischen Schweiz sei. Das haben wir dann auch getan und ich bin erstmals in den zweifelhaften Genuss gekommen, mit einer dieser Bimmelbahnen zu fahren, die wie Kindereisenbahnen aussehen und die Touristen durch mehr oder weniger alle deutschen Städte kutschieren. Die Festung Königstein ist sehr imposant, der Ausblick selbst mit Wolken und Nebel beeindruckend, aber die riesige Anlage strahlt nicht gerade eine heimelige Atmosphäre aus. Vielleicht hat die tendenziell bedrückende Stimmung dort oben damit zu tun, dass über viele Jahrhunderte ein Gefängnis betrieben wurde.
Irgendwo sahen wir einen Hinweis auf einen Jugend-Werkhof, der nach dem 2. Weltkrieg in der Festung existierte. Jugend-Werkhof hört sich gut an, skeptisch wurden wir, weil die Jugendlichen, die dort lebten, auf den Infotafeln als Insassen bezeichnet wurden. Tatsächlich handelte es sich um eine geschlossene Anstalt für Kinder und Jugendliche, die als äußerst problematisch galten und in kriminelle oder politische Machenschaften verwickelt waren. Davon gab es nach dem Kriege notgedrungen sicher sehr viele. Die Kinder, die auf der Festung Königstein landeten, durften den Werkhof nicht verlassen und man hat versucht, sie zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft - der sozialistischen nota bene - zu formen. Pädagogisch berief man sich zu Beginn auf den russischen Erziehungswissenschaftler Makarenko, der immerhin körperliche Züchtigung verbot. Doch so etwas wie Nestwärme scheint es im Jugend-Werkhof, der schon Mitte der 50er Jahre aufgelöst wurde, nicht gegeben zu haben. Vom Grundgesetz aus betrachtet hätte gegen die Existenz der Jugend-Werkhöfe nichts gesprochen. Zwar ist die Pflege und Erziehung der Kinder nach Artikel 6 natürliches Recht und Pflicht der Eltern, aber die waren nach dem Kriege oft tot oder nicht in der Lage, sich um die Kinder zu kümmern. Das gesamte Schulwesen steht ja nach Artikel 7 unter der Aufsicht des Staates, da würde auch ein Jugend-Werkhof reinpassen.

Wir sind bald wieder zurück nach Königstein und dort auf dem Marktplatz habe ich um 13h
die erste Rezitation des Tages (2x) gemacht.
Der Marktplatz war nicht sonderlich bevölkert, aber immerhin hat sich ein Mann während der Rezitation mein Plakat angesehen.
Danach ging es noch einmal in das Kaffeehaus und gestärkt u.a. mit der Eierlikör-Schoko-Torte - die viel leichter war als man bei dem Namen befürchten würde - sind wir in Richtung Hohnstein aufgebrochen. Zuerst haben wir mit der Fähre auf die andere Seite der Elbe übergesetzt und sind um den Lilienstein gelaufen, einer der imposanten Gesteinsformationen in der Sächsischen Schweiz.



Hinter dem Lilienstein erwartete uns ein Überraschung. Auf einem großen Feld direkt hinter den Felsen gab es in der Nazizeit zuerst eine Fabrik, in der KZ-Häftlinge arbeiten mussten. Später stand dort ein Kriegsgefangenenlager, in dem meist amerikanische Soldaten unter erbärmlichen Umständen versuchten zu überleben. Nach dem Krieg zogen in die Baracken des Lagers Flüchtlinge aus dem Sudetenland ein und blieben z.T. sehr lange dort, sofern sie die ersten Wochen überlebten. Heute ist am Rand dieses Feldes ein kleiner Gedenkort eingerichtet.

Dort habe ich um 15h die zweite Rezitation des Tages (1x) gemacht.



Durch das Polenztal, das alle Erwartungen an romantische Natur mit Fels, Wasser und Grün aufs Schönste erfüllt, ging es dann nach Hohnstein. Nach einigen Irritationen darüber, in welchem Hotel wir unser Zimmer reserviert hatten, sind wir im richtigen gelandet und konnten uns auf eine erholsame Nacht freuen.

Die Sächsische Schweiz, durch die die GG-Wanderung seit zwei Tagen führt, gehört zu den ikonischen Landschaften der deutschen Romantik - neben der Ostsee und dem Rheintal. Man muss nur an Caspar David Friedrich denken, der für einige seiner berühmten Gemälde hier die Motive fand. Die deutsche Romantik hatte einen beträchtlichen Anteil daran, dass die Idee eines vereinigten Deutschlands populär werden konnte. In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts immerhin in enger Verbindung mit Forderungen nach Demokratie und Meinungsfreiheit hat sich die politische Stoßrichtung später leider geändert.
Sachsen musste für die großdeutsche Idee allerdings mit Krieg und Druck gewonnen werden. Erst nach dem verlorenen Krieg 1866 gegen Preußen wurde Sachsen Teil des Norddeutschen Bundes und verlor damit seine Eigenständigkeit. Ein gewisses Ressentiment gegen die Preußen kann man in den Gesprächen aber bis heute heraushören. Darauf reagiert der Rheinländer mit Verständnis.

Fundstücke:
Notausstieg Joghurt mit Eiz
                                                       Deutschdeko

2 Kommentare:

  1. Ein paar "Synchronizitäten" und Verbindungen zu mir: 56. Tag(Mein Geburtsjahr)in der sächsischen Schweiz...... 16. Mai, Geburtstag meiner Patentante und Todestag meiner Grossmutter..... fröhliche und traurige Momente!
    Das Bild des Ortes wo Menschen gelitten haben und jetzt diese schöne Ruhe ausstrahlt.
    Braucht es manchmal Leiden, dass man die Ruhe und Schönheit findet?
    Welcher Artikel hast du rezitiert?

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  2. Hallo Maja, rezitiert habe ich wie immer alle 20 Artikel.

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