Cosul - Czorneboh - Löbauer Berg
Am Morgen haben wir uns bei noch einigermaßen angenehmen Wetter auf den Weg gemacht, der größtenteils durch den Wald führte. Im Teilstück kurz vor Czorneboh - das übrigens "Schwarzer Gott" auf sorbisch heißt - gab es einige im wörtlichen Sinne herausragende Steinformationen. Ein paar dieser Steine hatten eigene Namen, wie Opferbecken oder Teufelsfenster. In der Gegend gibt es auffällig viele Stellen, die mit dem Teufel verbunden werden. Vermutlich handelt es sich um Plätze, die schon in vorchristlichen Zeiten eine religiöse oder kultische Bedeutung hatten.
Vor dem Teufelsfenster habe ich im 10.30 Uhr
die erste Rezitation des Tages (1x) gemacht.
Das
Teufelsfenster wird offenbar auch Fragefenster genannt und in einer Art Gipfelbuch wird man aufgefordert, eine solche Frage zu stellen. Unsere
lautete: Wieso gibt es eigentlich gegen eine so vernünftige und kluge Einrichtung wie das GG Widerstände? Was bewegt Leute, diesen gemeinsamen
Boden eines friedlichen und zivilisierten Zusammenlebens zu verlassen?
So fragend sind wir weitergezogen und haben in der Baude Czorneboh, die überraschenderweise schon geöffnet hatte, einen Kaffee getrunken. Dann ging es weiter den Berg wieder hinunter. Wir kamen an einer Schubertlinde vorbei, die vor knapp 20 Jahren vom Schubertchor in Bautzen gepflanzt worden ist. Dann an einer Plakette, die in einem runden Steinkreis hing und von einem Vatertags-Ausflugsgrüppchen dort angebracht wurde und offenbar jährlich poliert wird. Und dann fanden wir einen Gedenkstein für Jakob Böhme, den Görlitzer
Schuster und Philosophen, der für den deutschen Idealismus eine wichtige
Quelle darstellte - für Hegel, Herder und, wie es auf der Plakette
heißt: Schilling.
Wieso mitten im Wald dieser Gedenkstein steht, konnte ich nicht ermitteln, aber der Ort schien mir geeignet für die zweite Rezitation des Tages (1x), die um 12 Uhr stattfand.
Von dort aus ging es - mittlerweile in leichtem Dauerregen - weiter auf
den Hochstein, wo sich an den Felsen eine Stempelstelle für den WDE
befand. Dieses eine Mal habe ich mir den Stempel abgeholt!
Der Regen wurde stärker, wir kamen vom Berg und aus dem Wald ins Tal und am ehemaligen Bahnhof von Kleindehsa haben wir in einer Regenpause unseren Proviant verspeist.
Bis Löbau zog sich der Weg noch ziemlich hin, ein letzter schwerer Regen ärgerte uns, bevor wir im Zentrum des Städtchens, das einen sympathischen Eindruck auf uns machte, ankamen. In der Tourist Info haben wir mit Hilfe zweier Mitarbeiter in Sachen Übernachtung recherchiert und am Ende Zimmer auf dem Löbauer Berg gebucht. Ich habe eine Wanderkarte gekauft und eine Stofftasche mit dem schönen Spruch: Je weiter der Blick desto freier das Herz.
Der Satz, mit dem die Stadt Löbau für sich wirbt, stammt vom Aussichtsturm auf dem Löbauer Berg, den wir nach einem sehr anstrengenden Auffstieg bestaunen konnten.
Der Turm besteht ganz aus Gusseisen und ist im Jahre 1854 auf Initiative eines Bäckermeisters errichtet worden. Ein beeindruckendes Bauwerk, auf dem ich, nachdem die 190 Stufen mit vorletzter Kraft erklommen waren,
die dritte Rezitation des Tages (1x) um 17.30 Uhr gemacht habe.
Eine schöne und vielfältige Ausbeute an Rezitationen war das heute. Bei der ersten am Teufelsfenster habe ich übrigens keine Widerstände in der energetischen Situation des Ortes wahrgenommen, wie das manchmal schon der Fall gewesen ist. Es fiel mir zwar nicht ganz leicht, die Konzentration zu halten, aber das hatte mehr mit meiner inneren, noch etwas angespannten Situation kurz vor dem Finale der GG-Wanderung zu tun.
Jakob Böhme ist nicht nur ein leuchtendes Beispiel für jemanden, der lange vor Kant den Mut besaß, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, sondern auch offen genug war, um die Möglichkeiten, die seine Persönlichkeit ihm bot, auszukundschaften und sie umzusetzen. Vom Schuster zum Philosophen und zurück führt kein ausgetretener Weg. Böhme hat schon im frühen 17. Jahrhundert gezeigt, was es heißt, die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Artikel 2 GG ernsthaft zu betreiben. Und erfahren müssen, dass Freigeister von weniger freien Geistern gerne angefeindet werden.
Der Bäckermeister aus Löbau, der Mitte des 19. Jahrhunderts den gusseisernen Turm ersann und die Idee auch in die Tat umsetzte, muss von ähnlichem Kaliber gewesen sein wie Jakob Böhme. Frei denkende und handelnde Handwerker.
Je weiter der Blick, desto freier das Herz!
In der Gaststätte am Turm, in der wir übernachtet haben, gab es kein Internet. Der Blog musste warten.
Während der Wanderung haben wir über verschiedene Aspekte des Grundgesetzes gesprochen. Das Grundgesetz kann heute nur verstanden und gedeutet werden, wenn man mitdenkt, dass es eingebunden ist in die Grundrechtscharta der Europäischen Union und die Bestimmungen der Vereinten Nationen. An beides ist die Bundesrepublik gebunden. In einigen Punkten gehen diese internationalen Verpflichtungen über das GG hinaus, so etwa bei den Kinderrechten, im Bereich Antidiskriminierung von Minderheiten oder auch beim Schutz von Flüchtlingen. Fragen, wie die, ob die Kinderrechte eigens in die Grundrechte des GG aufgenommen werden sollen, zeigen sich in dem Kontext neu, denn der Staat ist als Mitglied der Europäischen Union und der Vereinten Nationen eh dazu verpflichtet, die Rechte der Kinder zu schützen.
Aus meiner Sicht gibt es allgemein gesagt zwei Arten, das GG zu aktualisieren. Einerseits sind viele wichtige Formulierungen in den Grundrechten so gestaltet, dass sie neue Interpretationen erlauben, ohne den Text ändern zu müssen. Das gilt beispielsweise für Art. 6, in dem steht, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, ohne dass die Verfasser des GG sich je hätten vorstellen können, dass es einmal gleichgeschlechtliche Ehen geben würde. Diese Offenheit für gesellschaftliche Veränderungen gehört zu den großen Stärken des GG. Außerdem werden ja relativ oft Artikel des GG geändert, ergänzt und manchmal sogar gestrichen. Letzteres kann allerdings den Grundrechten nicht passieren. Die Ergänzungen können helfen, ein Grundrecht zu konkretisieren und zu stärken, wie etwas die Gleichberechtigung von Männern und Frauen aus Art. 3, oder sie können ein Grundrecht auch verwässern, wie es mit Art. 16a geschehen ist. Ursprünglich stand da nur der Satz: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht". Seit den neunziger Jahren folgt darauf ein kleiner Paragraphendschungel, der das Recht in verschiedener Hinsicht einschränkt.
Daraus könnte man schlussfolgern, dass die Verfasser und Verfasserinnen des GG nicht nur viel weiter waren als die Bevölkerung des Jahres 1949, die wahrscheinlich dem GG in dieser Form nicht zugestimmt hätte, sondern auch weiter und konsequenter als die Politik, die glaubt, sich vermeintlichen Sachzwängen beugen zu müssen, statt auf Grundlage der Grundrechte mutige Politik zu machen.
Fundstücke:
Verbote 1-3:
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